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Verpackungen - Hüllen, die es in sich haben

Verpackungen leisten uns seit Tausenden von Jahren gute Dienste: Sie machen Lebensmittel haltbar, schützen Fragiles beim Transport und bieten Platz für wichtige Informationen über ihren Inhalt. Julie Metzdorf über Mogelpackungen und Sollbruchstellen, aber auch über Schiffsreisen, Eroberungskriege und Geschenkpapier.

Verpackungen - Hüllen, die es in sich haben | Bild: adpic/W. Bulgar
22 Min. | 2.4.2025

VON: Julie Metzdorf

Ausstrahlung am 2.4.2025

SHOWNOTES

Credits
Autorin dieser Folge: Julie Metzdorf
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Susanne Schroeder, Thomas Birnstiel
Technik: Helge Schwarz
Redaktion: Susanne Poelchau

Im Interview:
Hans-Georg Böcher, Leiter Deutsches Verpackungsmuseum Heidelberg

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

GERÄUSCHE öffnen: Honigglas, Chipstüte, Vakuum-Espresso-Dose, Joghurtfolie abziehen, Tablettenblister, Zahnpastatube = Geräusche Tube auf Glas legen in halligem Badezimmer, Papierumschlag aufreißen, Geschenkpapier knistern, Korken… 

SPRECHER und SPRECHERIN abwechselnd, beginnend mit SPRECHER:

Goldgelber Honig, knusprige Kartoffelchips, der Duft gemahlenen Kaffees, ein frischer Joghurt, eine erlösende Kopfschmerztablette, die tägliche Portion Zahnpasta, ein lang ersehnter Brief, ein Überraschungspaket zum Geburtstag, ein Schluck Wein am Abend:

SPRECHERIN

Verpackungen begleiten unser Leben. Sie machen Lebensmittel haltbar, schützen Zerbrechliches beim Transport, informieren über Gebrauch und Gefahren eines Produkts. Egal ob Nahrungsmittel, elektronische Geräte oder Kosmetikprodukte: Es sind die Verpackungen, die viele Produkte überhaupt erst für alle Menschen verfügbar machen. Für Hans-Georg Böcher, den Leiter des Deutschen Verpackungsmuseums in Heidelberg, ist die Verpackung deshalb ein wichtiges Kulturgut:

OT 1 Hans-Georg Böcher 

Sie hat immer eine menschheitliche Bedeutung gehabt, und sie ist sozusagen Grundlage unseres Zusammenlebens, unserer Kultur, vor allen Dingen unserer Zivilisation. Und sie war immer schon sehr, sehr wichtig, schon in allen Epochen.

Musik 2: Aufbruch – 1:25 Min

SPRECHER

Verpackungen bieten in erster Linie Schutz. Sie machen Dinge unempfindlicher gegenüber äußeren Einflüssen, seien es Stöße, Sonneneinstrahlung, Feuchtigkeit oder auch einfach Sauerstoff. Oft macht die Verpackung Dinge überhaupt erst transportierbar. Das zeigt sich im gemeinsamen Wortstamm von „Verpackung“ und „Gepäck“: „Pack“ heißt soviel wie „Bündel“. Was soll man auch anfangen mit Sonnencreme, Motoröl oder Parfum ohne Dose, Flasche oder Flakon? 

SPRECHERIN

Verpackungen schützen aber nicht nur ihr Inneres, sie schützen andersherum auch die Welt vor ihrem Inhalt, man denke nur an Fett- oder Farbflecken. Manchmal sind Verpackungen sogar ein lebenswichtiger Schutz: Stichwort Abflussreiniger, Rattengift, Atommüll.

SPRECHER

Klar, manches kann man auch lose kaufen: Schrauben, Äpfel, Kaffeebohnen oder, in speziellen Unverpacktläden, auch mal Nudeln und Bohnen. Doch in irgendeiner Verpackung sind auch diese Dinge erst einmal in den Laden oder Baumarkt geliefert worden und um sie von dort nach Hause zu bekommen, verpackt man sie auch wieder in einer Dose oder Tüte. Kurz gesagt: Erst Verpackungen machen Transport und damit Handel möglich. 

OT 2 Hans-Georg Böcher 

In dem Moment, wo sich Menschen niederlassen und dann miteinander Handel treiben oder sich bewegen als Nomaden oder was auch immer, da kommen natürlich logistische Herausforderungen auf die Menschen zu. Sie wollen dann Waren womöglich tauschen. Sie wollen, was ja auch logisch ist, miteinander in Handel treten. Der eine hat vielleicht ein Saatgut, das er irgendwie gewinnen konnte, der andere hat vielleicht gerade irgendein Tier erlegt. Und in dem Augenblick geht dann schon die Frage los wie bringe ich das von A nach B. 

ATMO Wald / Natur

SPRECHERIN

Besonders wichtig waren Verpackungen von jeher für Nahrungsmittel. Statt von der Hand in den Mund, bzw. vom Feld in den Mund, kann Verpacktes transportiert, gesammelt und aufbewahrt werden. 

SPRECHER

Das große Vorbild ist die Natur. Bananenschalen, Haselnüsse, Kastanien: Die Natur weiß, wie sie ihr Wertvollstes – ihren Samen – während des Reifungsprozesses vor Fressfeinden und Austrocknung schützt. 

Musik 3: Achlys red alt –  1:07 Min 

SPRECHERIN

Das Wichtigste für den Menschen war von Anfang an Wasser, Nahrung und Feuer. Um diese Dinge zu transportieren, brauchte es geeignete Verpackungen. Das Material dazu kam aus der Natur. Zum Transport von Wasser wurden beispielsweise Kalebassen verwendet. Lässt man den Flaschenkürbis trocknen, wird er extrem hart und wasserundurchlässig. Auch die Blase von Tieren konnte als Trinkbeutel verwendet werden. Im Mittelalter waren Lederbeutel und Schläuche üblich, Reisende trugen sie einfach am Gürtel. Schildkrötenpanzer dienten zum Transport von Parfums und anderen Kosmetika, Blätter und Rinden zum Einwickeln oder Flechten. Ötzi zum Beispiel hatte bei seiner Alpenüberquerung vor mehr als 3000 Jahren zwei ultraleichte Behälter aus Birkenrinde bei sich. Darin befand sich glühende Kohle, eingewickelt in frische Ahornblätter. Die Blätter hielten die Glut warm.

SPRECHER

Bis heute werden manche Lebensmittel in Naturmaterialien verpackt, Würste zum Beispiel gibt es noch immer im Naturdarm. Auch geflochtene Verpackungen sieht man immer mal wieder:

OT 3 Hans-Georg Böcher

Ich erinnere an die Lambrusco-Flasche, die zum Beispiel zur Hälfte von einem Korbgeflecht umgeben ist, das war früher Produktschutz. Also hat man zwei Packstoffe miteinander verbunden, den Flechtkorb, in dieser Tradition der handwerklichen Flechtkunst und dann die Glasflasche, die genau reingepasst hat. Die Glasflasche hat den Aromaschutz geboten und der Flechtkorb den Bruchschutz.

Musik 4: Byzantinische Ruine - 17 Sek + 

Musik 5: Überreste der Römer -  58 Sek + 

Atmo Schiff auf Meer

SPRECHERIN

Mit dem Aufkommen großer Städte wurde der Transport von Lebensmitteln – und damit ihre Verpackung – immer wichtiger. Rom etwa hatte in der Spätantike mehr als eine Million Einwohner, hier ernährte sich niemand mehr vom eigenen Feld vor der Haustür, Lebensmittel wurden importiert. Über den Tiber kamen sie aus dem gesamten Römischen Reich per Schiff in die Stadt. Öl, Oliven und Wein, aber auch Honig, Milch, Getreide oder Datteln wurden in sogenannten Amphoren transportiert. 

SPRECHER

Eine Amphore ist ein bauchiges Gefäß aus Ton, mit langem schmalem Hals und zwei Henkeln an der Seite. Nach unten hin läuft der Körper spitz zu, die Standfläche ist klein. Die Form zielt voll und ganz darauf ab, gestapelt zu werden, man steckte die schmalen Gefäße einfach zwischen die Schultern der unteren Reihen. Herkunftsstempel zeigen noch heute, wie weit die Amphoren damals reisten, Schweinefleisch zum Beispiel kam bis aus Gallien und Spanien nach Rom, die Deckel wurden luftdicht mit Pech verschlossen.

OT 4 Hans-Georg Böcher

Also die frühen Amphoren, die man sicherlich als Verpackungen betrachten kann, die haben schon relativ viele Auskünfte gegeben über ihre Herkunft. Und wir müssen uns den frühen ich sage jetzt mal Welthandel im Römischen Reich beispielsweise oder vorher bei den Griechen durchaus schon sehr ausgereift vorstellen.

Musik 6: secret agenda –  50 Sek

SPRECHERIN

Keramik kommt als Verpackungsmaterial heute kaum noch zum Einsatz. Wohl aber ein anderes, sehr altes Material: Glas. Etwa ab 1500 v. Chr. stellten die Ägypter Gefäße aus Glas her. Anfangs waren das Luxusgefäße für Salben, Öle, Parfüms und Schminke. Doch in den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich Glas zum beliebten Behältnis für Flüssigkeiten. Denn im Gegensatz zu den üblichen Ton-, Holz-, Metall- oder Lederbehältnissen ist Glas geschmacksneutral, gasdicht und geruchlos. Es geht keinerlei Wechselwirkung mit anderen Stoffen ein, gibt keine Schadstoffe ab und ist somit aus gesundheitlicher Sicht das beste Verpackungsmaterial für Lebensmittel. 

Musik 7: Beethoven – 40 Sek

SPRECHER

Eines aber kann auch Glas nicht: Es kann Lebensmittel nicht dauerhaft haltbar machen. Genau das aber wünschte sich einer der mächtigsten Männer im Europa des 18. Jahrhunderts: Napoleon Bonaparte. Seine Eroberungskriege wurden zur treibenden Kraft für die Entwicklung von verpackten Lebensmitteln. Bis ins 18. Jahrhundert hinein versorgten sich Armeen im Krieg nicht zuletzt durch Plünderungen. Für Napoleons riesiges Heer aber reichte das nicht.

OT 5 Hans-Georg Böcher 

Und Napoleon war ein hochgeachteter Feldherr, der als einer der führenden, sagen wir mal Kriegsführer Europas vor allen Dingen auf technologische Mittel gesetzt hat. Und er hat festgestellt, dass ihm einen Teil seiner Soldaten verhungert ist auf den Feldzügen ... und wenn es dumm lief, denkt man nur mal an den Russlandfeldzug und so weiter, dann konnten mehr Menschen an Hunger sterben als durch Geschütze oder Geschützhagel. 

SPRECHERIN

1795 lobte Napoleon deshalb einen Ideen-Wettbewerb aus. Wer es schaffen würde, Lebensmittel dauerhaft haltbar zu machen, sollte die enorme Summe von 12.000 Goldfranken bekommen. Jahrelang zerbrachen sich die renommiertesten Wissenschaftler Frankreichs die Köpfe über dieser Aufgabe. 

SPRECHER

Der entscheidende Durchbruch gelang einem Mann der Praxis: dem Konditormeister Nicolas Appert. Appert erhitzte die Lebensmittel, füllte sie in Glasflaschen und verschloss sie luftdicht mit Korken und Draht, wie bei einer Sektflasche. Heute würde man von Einkochen oder Einwecken sprechen. Nach einem kurzen Test durch die Marine gingen die Flaschen an die Front:

OT 6 Hans-Georg Böcher

Aber diese Glasgefäße, in denen Aprikosen oder irgendwelche Früchte eingedampft waren oder eingekocht waren, so muss man es sagen. Die haben natürlich logistische Nachteile gehabt. Die sind zerbrochen, die waren instabil, teilweise auch durch den Lichteinfall nicht mehr gut

Musik 7: Pierrot’s Dream Part 1 – 1:28 Min

SPRECHERIN

Glasflaschen an der Front: die Idee war verbesserungswürdig. Am Ende war es ein Brite, der zwar Apperts Konservierungsmethode nutzte, aber ein anderes Material dafür verwendete: Weißblech. Die erste Konservendosenfabrik der Welt entstand deshalb in England.

SPRECHER

Die Dosen blieben zunächst ein Nischenprodukt, ihre Herstellung war aufwändig und teuer, ihre Nutzung bisweilen sogar gefährlich: Konservendosen wurden anfangs mit Blei verschlossen, im schlimmsten Fall konnte das zu Bleivergiftung führen. ((Lange glaubte man, die Franklin-Expedition in die Arktis sei 1848 an solch einer Konservendosen-Bleivergiftung gescheitert, aber das hatte auch noch andere Gründe.)) 

SPRECHERIN

Auch sonst war der Umgang mit den Dosen anfangs gar nicht so einfach: Nach dem Öffnen musste das Essen sofort umgefüllt werden, denn der Sauerstoff konnte eine Reaktion zwischen dem Metall der Doseninnenseite und dem eventuell sauren Doseninhalt auslösen. Heutige Dosen sind auf der Innenseite meist mit Kunststoff überzogen, der steht allerdings im Verdacht, gesundheitsschädliche Stoffe abzusondern.

SPRECHER

Die ersten Konservennutzer hatten Anfang des 19. Jahrhunderts ganz andere Probleme: Es gab noch keine Dosenöffner:

OT 7 Hans-Georg Böcher

Die ersten appertschen Konservendosen sind von den napoleonischen Truppen mit den Lanzettmessern an ihren Gewehren aufgestoßen und aufgedrückt worden.

SPRECHER

Mittlerweile haben die meisten Dosen eine Lasche.

Musik 8: Mike Krüger – Der Nippel - 16 Sek 

(Refrain: „Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche zieh’n / und mit der kleinen Kurbel ganz nach oben dreh’n / da erscheint sofort ein Pfeil / und da drücken Sie dann drauf / und schon geht die Tube auf!“)

SPRECHERIN

Entscheidend an einer Verpackung ist, dass man sie öffnen kann. Wieder hat es die Natur vorgemacht: Blätter, Früchte, aber auch Mineralien oder Tiere - bei Eidechsen zum Beispiel der nachwachsende Schwanz - haben eine Sollbruchstelle. Meist handelt es sich um eine dünnere Stelle, eine Kerbe oder Perforation, die das Material so schwächt, dass es genau dort bricht, wo es brechen soll. 

SPRECHER

Doch nicht immer gibt es solch eine Stelle. Ohne Hilfsmittel wie Scheren oder Messer lassen sich manche Verpackungen gar nicht öffnen. Einer Studie zufolge verbringen die Deutschen mehr als 31 Tage ihres Lebens mit dem Öffnen von Verpackungen. Besonders schlimm ist es an Weihnachten. Gelingt es nicht, den Kabelbinder, der das Kuscheltier an seine Unterlage fesselt schnell genug zu lösen, kullern im Angesicht der Erdrosselung des neuen Lieblings schon mal die Tränen. Doch zurück zum Lebensmittel...

OT 8 Hans-Georg Böcher

Und dann, 1864-65, komplettiert sich die Idee mit der Konservendose durch die Erfindung der Pasteurisierung. Und in der Kombination dieser sagen wir mal ... Hygiene-Kompetenz, da entstehen auf einmal Lebensmittel, die sich von vom Entstehungsort komplett ablösen können. Und was das bedeutet, können wir uns in unserer Zeit mit unseren Supermärkten nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn Sie ein Lebensmittel zur Hand haben, dass Sie Tage oder auch Wochen .... noch essen können. ... Das war ein wahnsinniger Technologieschub, das entspricht ungefähr so etwas wie bei uns dem Internetzeitalter oder sowas.

Musik 9: Aufbruch – siehe vorn – 55 Sek

SPRECHERIN

Es ist der Beginn der Industrialisierung der Lebensmittelproduktion. Nahrung wurde haltbar, ortsunabhängig und günstiger. Denn je haltbarer ein Produkt ist, desto massenhafter kann man es herstellen und lagern, und das senkt den Preis. Egal ob Fleisch oder Käse: Verpackte Produkte sind preiswerter als das Angebot an der Frischetheke.

SPRECHER

Doch je mehr Lebensmittel an jedem einzelnen Ort zur Verfügung standen, desto wichtiger wurde es für Unternehmer, ihre Produkte attraktiv zu machen. Man musste sich von der Konkurrenz abheben. Was steht ihnen dazu zur Verfügung: Die Verpackung. 

OT 9 Hans-Georg Böcher

Die Markenartikelindustrie bemächtigt sich der Verpackung, sie hatte ja vorher keine anderen Werbeflächen. Das Radio gab es ja nicht, genauso wenig wie das Internet oder das Werbefernsehen. (Es gab Zeiten, in denen es nicht mal eine farbige Anzeige gab in der Zeitung.)

SPRECHERIN

Die Verpackung vermittelt den ersten Eindruck, das Produkt selbst sehen wir oft gar nicht. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bekommen Verpackungen eine neue Aufgabe: Kommunikation. 

SPRECHER

Auf der eine Seite sind da die Informationen: Fakten über Inhalt, Gebrauch und Gefahren der Produkte. Auf der anderen Seite stehen die Emotionen. Hier kommen Grafiker und Designer ins Spiel. Mit Comicfiguren bedruckte quietschbunte Verpackungen japanischer Süßigkeiten vermitteln andere Emotionen als eine französische Seifenschachtel mit lavendelblütenfarbenem Schnörkelrand. Die Verpackung wird zur Werbefläche.

OT 10 Hans-Georg Böcher

Die Verpackung ist ein wesentliches Transportmittel, nicht nur für Waren und Güter, sondern auch für geistige Ideen, für Werbung, für Botschaften, die sich mit diesen Produkten verbinden. Wir müssen immer verstehen, dass Produkte Botschafter sind und natürlich die Verpackungen begleitende Botschaften sind.

Musik 10: Coca-Cola Commercial - 41 Sek

SPRECHER

Es ist die Geburtsstunde der Marken und Verpackungen sind die Grundlage des Marketings. Beispiel Coca-Cola: Weil das Getränk immer wieder kopiert wurde, erteilte das Unternehmen den Auftrag, „eine unverwechselbare Flasche zu entwerfen, die selbst im Dunkeln oder in zerbrochenem Zustand ertastbar und erkennbar ist“. 

OT 11 Hans-Georg Böcher

Und dann haben Sie sich inspirieren lassen von den Rillen der Kakaofrucht und die Urform ...steht tatsächlich wie eine zum Stehen gebrachte Kakaofrucht. Und die wird dann noch mal so ein bisschen gestreckt, bis sie dann als Mae West Bottle sozusagen ein Designklassiker wird. 

SPRECHERIN

Nicht nur Farbe und Schriftzug auf dem gedruckten Etikett, sondern auch die Form der Verpackung sind für Coca-Cola bis heute markenbildend. Ähnliche Beispiele gibt es auch in Deutschland: die sogenannte Seitenhalsflasche von Odol. 

SPRECHER

Die milchweiße Flasche erinnert entfernt an einen Schwan, ihr Hals macht einen Knick. Wie bei der Colaflasche ist das Design der Odol-Flasche nicht nur ein Marketing-Gag, um die Flasche unverwechselbar zu machen, sondern erfüllt eine wichtige technische Funktion: die Dosierung.

OT 12 Hans-Georg Böcher

Wenn Sie das Produkt verwenden, dann schütteln sie sozusagen einen Tropfen ins Glas. Es darf nicht zu viel rauskommen. ... Das ist alles ausgerechnet, dass die Anwendung möglichst optimal funktioniert, und es soll sozusagen beim Schütteln ein Tropfen ins Glas kommen. Wenn sie es heftiger haben wollen, können sich auch zwei rein machen. Aber es darf kein Rinnsal herauslaufen.

Musik 11: Pierrot’s Dream Part 1 – siehe vorn – 25 Sek

SPRECHERIN

Solchen einzigartigen Ausnahme-Verpackungen zollen Verbraucher gern Respekt. Ansonsten aber sind Verpackungen eher ein Ärgernis: die Tube, aus der die Creme plötzlich hinten austritt; die Lasche am Milchkarton, die sich nur mit viel Kraft öffnen lässt und einen Schwung Milch mit nach draußen befördert; der Foliendeckel am Sahnebecher, der im Einkaufbeutel mal wieder kaputt geht.

SPRECHER

So richtig geliebt werden Verpackungen eigentlich nur an Feiertagen: als Geschenkverpackung. Geschenke schön einzuwickeln ist fest in unserer Kultur verankert.

OT 13 Hans-Georg Böcher

Bei der Geschenkverpackung geht es auch um Verunklarung. Es geht darum, bis zum letzten Moment noch den Beschenkten zu überraschen. Und diese Überraschung spielt eine ganz große Rolle für die Freude beim Schenken.

SPRECHERIN

In der Verschönerung liegt Wertschätzung: eine schöne Verpackung mit edlem Papier und Stoffschleife ist ein Versprechen: sie steigert die Erwartungen an den Inhalt. Ursprünglich hatte die Schleife übrigens mal die Funktion, das Papier zu fixieren. Heute nimmt man dafür Klebestreifen, die Schleifen sind nur noch Deko. Aufbügeln und Wiederverwenden ist out. Denn für die meisten Menschen ist das Geschenkpapier wie jede andere Verpackung auch: vor allem Müll. 

Musik 12: Müll – Lied –  21 Sek

SPRECHER

Verpackungs-Experte Hans-Georg Böcher ärgert sich über den schlechten Ruf der Verpackung. 

OT 14 Hans-Georg Böcher

Die Verpackung leistet, bis es zu dem Entsorgungsthema kommt, sehr viel Gutes. Sie stellt die Hygiene des Produkts sicher, sie senkt die Preise, sie klärt den Verbraucher auf über Inhaltsstoffe. Sie erfüllt alle politischen Botschaften, die auf ihr abgedruckt werden sollen zugunsten einer veränderten Welt. Das heißt also die Verpackung hat sehr, sehr viel zu leisten. Dass sie am Ende mal tot ist, ist klar. Das ist wie bei jedem Produkt.

SPRECHERIN

Fast 20 Millionen Tonnen Verpackungsmüll entstehen jedes Jahr allein in Deutschland. Als besonders böse gilt Kunststoff, eines der jüngsten Verpackungsmaterialien. Dabei haben Kunststoffe gerade als Verpackung viele Vorteile: Sie sind leicht, aber stabil und gegebenenfalls elastisch. Sie sind resistent gegen Feuchtigkeit und können den Kontakt mit schädlichen Stoffen verhindern. Aber genau das kann auch zum Problem werden: Petrochemische Kunststoffe verrotten nicht oder nur sehr langsam. 

SPRECHER

Doch an der Verschmutzung der Meere ist nicht die Chipstüte schuld, sondern der Mensch und sein Konsumverhalten, sagt Hans-Georg Böcher:

OT 15 Hans-Georg Böcher

Wir müssten, wenn wir wirklich weniger Verpackungen haben wollten, auf den Joghurt verzichten und nicht den Joghurtbecher schuldig machen.

SPRECHERIN

Die Antwort der Konsumgesellschaft aber lautet nicht Verzicht, sondern Recycling: Verpackungsmaterial wiederverwenden. Eine gute Verpackung sollte also eine sein, die man entweder mehrfach verwenden oder wiederverwerten kann. Doch das ist nicht so einfach. 

SPRECHER

Glas zum Beispiel lässt sich sehr gut recyceln, doch um es wiederzuverwerten braucht es hohe Schmelztemperaturen, also viel Energie. Und auch als Mehrwegprodukt hat es einen Haken: Glas ist schwer, der Energieverbrauch beim Transport damit hoch.

OT 16 Hans-Georg Böcher

Ich warne vor diesen ganzen Greenwashing-Diskussionen, vor irgendwelchen Ökobilanzen, die sich natürlich diese Branchen dann gegenseitig immer, ja kritisieren oder sich ihre eigene zurechtrechnen. Ich meine, das weiß jeder, dass wir Mehrweg haben. Aber dann weiß man auch, dass es schwer ist, dass damit Lastwagen auf der Straße sich bewegen müssen, die natürlich auch Energie verbrauchen.

SPRECHERIN

Greenwashing von Verpackungen ist nicht nur verlogen, es schadet der Umwelt. Beispiel Verbundstoffe: Durch bräunliche Packpapierfarbe und ein aufgedrucktes grünes Blatt suggerieren die Hersteller, ihre Verpackungen seien umweltfreundlich. Müslimischungen, Salatboxen, Gewürze oder Bonbontüten: immer mehr Lebensmittelverpackungen sehen aus – und fühlen sich von außen auch so an – als seien sie aus Papier. Verbraucher halten sie wahlweise für kompostierbar, recyclingfähig oder bereits recycelt. Nichts davon stimmt. 

SPRECHER

Die Innenseite von Verbundverpackungen ist mit Kunststoff beschichtet, manche enthalten auch Aluminium. Zur Herstellung wird viel Energie benötigt, außerdem Wasser, Holz, Erdöl und Chemikalien. Recyceln kann man solche Verbundstoffe kaum bis gar nicht.

OT 17 Hans-Georg Böcher

das ist etwas, womit natürlich im Marketing gearbeitet wird, der sogenannte ungestrichene Karton, also wenn sie Produkte sozusagen als grün inszenieren wollen. Aber der Verbraucher assoziiert sozusagen eine grüne Lebensphilosophie des Herstellers mit ungestrichenen braunem Karton.

SPRECHERIN

Seit 2022 sind kostenfreie Plastiktüten an der Supermarktkasse verboten. Stattdessen gibt es relativ stabile Papiertüten zu kaufen. Diese Tüten sind unbeschichtet, sie bestehen wirklich aus Altpapier und können recycelt werden. Der Energieaufwand dafür ist allerdings hoch. Um ökologischer zu sein als die früheren Plastiktüten müsste man sie etwa vier oder fünf Mal verwenden.

Musik 13: Mit dir in der Gegend – siehe M1 – 35 Sek

SPRECHER

Eines ist jedenfalls klar: Verpackungen sind nicht nur Drumherum. Es sind Hüllen, die es in sich haben, Wundertüten der Technik, eng mit dem Produkt in ihrem Inneren verbunden. Es lohnt sich, ihnen ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu widmen.


radioWissen | Bild: Getty Images / BR
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