Gamification - Welt gerettet mit Spiel und Spaß?
Punkte sammeln, Level aufsteigen, Abzeichen gewinnen: Was in Computerspielen funktioniert, soll nun auch den Alltag optimieren. Doch die Übertragung von Spielemechaniken in die reale Welt hat ihren Preis. Ein Feature über Chancen und Risiken der Gamification-Gesellschaft. Von Christian Schiffer
VON: Christian Schiffer
Ausstrahlung am 4.4.2025
SHOWNOTES
Credits
Autor dieser Folge: Christian Schiffer
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Katja Bürkle, Katja Schild, Clemens Nicol
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
Paula Bräuer (Universität Kiel)
Benjamin Strobel (Podcast "Behind the Screens")
Marcos Kalinowski (Universität Rio De Janeiro)
Christian Huberts (Kulturwissenschaftler)
Jörg Friedrich (Paintbucket Games)
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Linktipps:
TED-Talk von Jane McGonigal: "Gaming can make a better world"
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Podcast "Behind the Screens" von Benjamin Strobel
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Workification: Warum sich Games immer mehr wie Arbeit anfühlen
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Welche Gamification motiviert? Ein Experiment zu Abzeichen, Feedback, Fortschrittsanzeige und Story
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Negative effects of gamification in education software: Systematic mapping and practitioner perceptions
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Üppige Wälder, schneebedeckte Berggipfel, uralte Elfenruinen, epische Kämpfe: Das hier ist World of Warcraft, ein Online-Rollenspiel, das im November 2004 erschienen ist. Zwischen den weiten Ebenen, verwunschenen Wäldern und gefährlichen Dungeons tummeln sich Spieler aus aller Welt, die als mutige Krieger, geschickte Jäger, geheimnisvolle Magier oder listige Schurken diese digitale Spielewelt durchstreifen.
ZUSPIELUNG Atmo 1, World of Warcraft
SPRECHERIN
Zu seinen Hochzeiten Anfang der Zehnerjahre hatte World of Warcraft 13 Millionen Abonnenten. Heute sind es weniger, aber immer noch verirren sich jeden Monat Millionen Spieler in diese kunterbunte Fantasywelt. Hier treffen sie auf Gleichgesinnte, mit denen sie gemeinsam Quests, also Abenteurer, bestehen, gefährliche Dungeons – sprich: Kerker - durchstreifen oder epische Schlachten gegen mächtige Drachen und finstere Dämonen schlagen. Für jedes erschlagene Wildschwein, für jede erledigte Quest, für jeden erbeuteten Schatz gibt es eine Belohnung: Erfahrungspunkte, neue Waffen, mächtige Rüstungen oder wertvolle Goldmünzen. Und so gibt es immer etwas zu erreichen: Nur noch diese eine Mission und der Charakter steigt im Level auf!
ZUSPIELUNG
World of Warcraft Soundeffect
SPRECHERIN
Nur noch dieses eine Wildschwein und die Questbelohnung ist gesichert!
ZUSPIELUNG World of Warcraft Soundeffect
SPRECHERIN
Nur noch dieser eine Dungeon und vielleicht gibt’s dann endlich das lang ersehnte Schwert!
ZUSPIELUNG World of Warcraft Soundeffect
ZUSPIELUNG ATMO (Musik 2) - World of Warcraft
SPRECHERIN
World of Warcraft ist eine ausgeklügelte Karotte, die dauernd vor der Nase des Spielers herumwedelt. Und so dürfte die Anzahl von erschlagenen World of Warcraft-Wildschweinen in die Millionen, wenn nicht gar Milliarden gehen. Bereits zehn Jahre nach dem Start hatten World of Warcraft-Spieler mehr als 6 Millionen Jahre im Spiel verbracht. Viele verlieren sich in dem Spiel. Schnell werden aus Minuten Stunden und aus Abenden Nächte. Nicht umsonst wurde World of Warcraft oft als "digitales Opium" bezeichnet – und trat eine große Diskussion über Computerspielesucht los.
Musik 2: The right way round – 32 Sek
SPRECHERIN
Und jetzt stellen wir uns folgendes vor: Was, wenn die ausgeklügelte World of Warcraft-Karotte, die Spieler nicht dazu motivieren würde, noch mehr Schwerter zu finden, den eigenen Kampfmagier aufzuleveln oder, genau, Wildschweine umzuhauen? Sondern dazu, gesünder und nachhaltiger zu leben, Sprachen zu lernen und effizienter zu arbeiten? Genau diese Frage stellt sich 2011 die Gamedesignerin Jane McGonigal.
ZUSPIELUNG 01 O-Ton 1
Right now we spend 3 billion hours a week playing online games. Some of you might be thinking, that's a lot of time to spend playing games, maybe too much time considering how many urgent problems we have to solve in the real world, but actually according to my research at the Institute for the Future, it's actually the opposite is true. 3 billion hours a week is not nearly enough gameplay to solve the world's most urgent problems.
Overvoice weiblich
Die Menschheit verbringt derzeit drei Milliarden Stunden pro Woche mit Online-Spielen. Das klingt nach viel - gerade angesichts der drängenden Probleme unserer Zeit. Aber meine Forschung am Institute for the Future zeigt: Das Gegenteil ist der Fall. Drei Milliarden Stunden Spielzeit pro Woche reichen bei weitem nicht aus, um die wichtigsten Herausforderungen unserer Welt zu bewältigen.
SPRECHERIN
Die These von Jane McGonigal, die sie damals in einem Buch und einem vielbeachteten TED-Talk ausbreitet: Wir spielen nicht zu viel, wir spielen zu wenig. Um die Welt zu retten, muss die Welt von Computerspielen lernen. Denn Spiele, wie etwa World of Warcraft nutzen psychologische Tricks, um uns bei der Stange zu halten. Und diese psychologischen Tricks könne man doch auch für produktive Dinge einsetzen.
ZUSPIELUNG 02 O-Ton 2
I really hope that we can come together to play games that matter, to survive on this planet for another century, and that's my hope, that you will join me in making and playing games like this. When I look forward to the next decade, I know two things for sure, that we can make any future we can imagine, and we can play any games we want. So I say, let the world-changing games begin. (Applaus Atmo dran)
Overvoice weiblich
Ich hoffe, dass wir uns zusammentun und Spiele entwickeln, die uns dabei helfen, die nächsten hundert Jahre auf diesem Planeten zu überleben. (..) Also: Lasst uns mit den Spielen beginnen, die die Welt verändern werden.
SPRECHERIN
Spielerisch die Welt retten! „Gamification“, so heißt das Konzept, das McGonigal damals in einer größeren Öffentlichkeit populär macht. Was das genau ist, erklärt Paula Bräuer, die an der Universität Kiel zu Gamification forscht:
ZUSPIELUNG 03 O-Ton 3
Gamification wird im wissenschaftlichen Bereich definiert, normalerweise als die Verwendung von Spieldesignelementen in einem spielfremden Kontext. Und was dabei wichtig ist aus meiner Perspektive ist immer zu beachten, dass es hierbei also nicht darum geht, dass wir uns mit einem Spiel oder Spielen befassen, sondern wirklich mit Elementen aus Spielen. Das heißt, wir wollen, auch wenn wir etwas gamifizieren, nicht versuchen, ein Spiel zu entwickeln, sondern wir wollen diese Elemente verwenden, um etwas ansprechender, etwas motivierender zu gestalten.
SPRECHERIN
Diese Elemente aus Computerspielen haben eine lange Geschichte. Und mit jedem neuen Spiel kommen neue Motivationswerkzeuge hinzu.
ZUSPIELUNG Atmo 2, Pong
SPRECHERIN
1972. Am Anfang der Geschichte der kommerziellen Computerspiele steht Pong. Zwei Schläger, ein Ball und eine Punkteanzeige. Die Punkteanzeige ist damals das, was programmiertechnisch am aufwändigsten war.
ZUSPIELUNG Atmo 3, Space Invaders
SPRECHERIN
1978 dann Space Invaders. Ein Computerspiel in dem es darum geht, eine Alien-Invasion abzuwehren. Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht, in Japan seien die Yen-Münzen knapp geworden, weil sie dauernd in Space-Invaders-Spielautomaten gesteckt wurden. Ein Grund für die Space Invaders-Manie: Das Spiel zeigt den Highscore. Endlich weiß man, ob man am Joystick wirklich besser ist, als der Angeber aus der 8b.
Musik 3: Theme of Tetris – 25 Sek
SPRECHERIN
1984: Tetris. Ein Spiel, das wie kein anderes den sogenannten "Flow" erzeugt - jenen Zustand völliger Versunkenheit, in dem Zeit und Raum keine Rolle mehr spielen. Während die bunten Blöcke vom oberen Bildschirmrand herabfallen, vergessen die Spieler alles um sich herum.
Musik 4: A picture in motion – 34 Sek
SPRECHERIN
Im Laufe der Zeit wird das Arsenal der Psychotricks immer größer und ausgeklügelter: Fortschrittbalken, Levelaufstiege, Missionen, Abzeichen, Storytelling. Viele dieser Methoden haben nicht die Computerspiele selbst erfunden. Abzeichen gibt es auch im Sport oder im Militär, genauso wie Highscores, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts übrigens auch schon in der Arbeitswelt eingesetzt werden. Aber Computerspiele perfektionieren das Ganze.
ZUSPIELUNG 04 O-Ton 4
Grundsätzlich ist das menschliche Gehirn so aufgebaut, dass wir Handlungen gerne wiederholen, wenn sie im Ergebnis Reize produzieren, die für uns belohnend sind. Belohnend sind sie in der Regel dann, wenn sie innere Bedürfnisse befriedigen.
SPRECHERIN
Das ist Benjamin Strobel. Er ist Psychologe und betreibt den Podcast Behind the Screens, in dem er sich mit Psychologie und Computerspielen beschäftigt. Er sagt, das einfachste Bedürfnis kennen wir alle. Und jeder weiß, wie es befriedigt wird.
ZUSPIELUNG 04 weiter O-Ton 4 Teil 2
Hunger oder Durst? Ja, wenn ich etwas esse oder trinke, dann würde das sozusagen ein natürliches Belohnungssystem aktivieren, weil ich damit ein wichtiges Bedürfnis befriedigt habe, das ich verspüre. Es gibt aber auch psychische Grundbedürfnisse, die unsere Handlung antreiben. Die sind ein bisschen komplizierter als Hunger und Durst. Insbesondere sind es, die Bedürfnisse nach Selbstwirksamkeit und Kompetenz erleben. Ja. Also dass man etwas erreicht, dass man etwas schafft, dass man etwas abschließt, auch, dass man selber sehen kann: Meine Handlungen haben eine Auswirkung in der Welt. Das mag der Mensch, das möchte er spüren.
ATMO World of Warcraft
SPRECHERIN
Auf World of Warcraft übertragen heißt das: Für jedes Wildschwein, das wir umhauen, gibt es Erfahrungspunkte, das fühlt sich toll an, denn es signalisiert uns: Wir kommen voran! Und wenn es Erfahrungspunkte hagelt, weil wir Quest beendet und einen finsteren Dämonen-König ins Jenseits befördert haben, dann sagt unser Hirn: Gut gemacht, aber jetzt bitte mehr davon! Denn unser Gehirn schüttet bei solchen Erfolgserlebnissen Dopamin aus - denselben Neurotransmitter, der auch bei anderen belohnenden Tätigkeiten freigesetzt wird.
ZUSPIELUNG 05 O-Ton 5
Wenn wir auch diesen einfachen Mechanismus der Highscores zum Beispiel nehmen, spielen dann auf der Klaviatur unseres Bedürfnisses nach Kompetenz erleben viele Punkte gemacht. Das heißt, ich war gut, ich kann sehen, ich habe was erreicht. Ich bekomme erstmal ein Feedback. Ja, das ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass ich überhaupt feststellen kann, ob meine Handlung eine Wirkung erzielt haben.
SPRECHERIN
Viele Spiele kombinieren die verschiedenen Elemente auch. Tetris zum Beispiel appelliert an das grundmenschliche Bedürfnis Ordnung zu schaffen in einem Chaos und belohnt uns gleichzeitig mit Punkten und dem befriedigenden Geräusch einer verschwindenden Reihe.
ZUSPIELUNG ATMO 6 Duolingo
SPRECHERIN
Dieses Prinzip der mehrfachen Belohnung nutzt auch die populäre Sprachlern-App Duolingo. Auch hier geht es darum, Ordnung ins Chaos zu bringen - nur dass wir statt fallender Tetris-Blöcke Wörter und Sätze richtig zusammenfügen müssen. Für jede gemeisterte Lektion gibt es Punkte, eine befriedigende Fanfare und einen grünen Haken.
ZUSPIELUNG
Atmo 6, Duolingo nochmal kurz frei
SPRECHERIN
Streaks für tägliches Lernen, Bestenlisten und kleine Auszeichnungen tun ihr Übriges - die Grenze zwischen Lernen und Spielen verschwimmt. Duolingo ist vielleicht das beste Beispiel, um zu zeigen, wie Gamification funktionieren kann, sagt Paula Bräuer:
ZUSPIELUNG 06 O-Ton 6
Die haben das perfektioniert, da das ja verschiedenste Formen von Spieldesignelementen eingebaut. Also man hat einmal diese Eule, die immer den Streak vorgibt, dass man immer schön am Ball bleiben soll. Und wenn man es nicht schafft, den täglichen Duolingo Aufgaben zu erfüllen, dann ist die Eule traurig und der Streak geht kaputt. Aber genau so ist das, was man auch häufig hat. Als Beispiel die Smartwatches. Dass wir da irgendeine Form von Tracker für die Gesundheit mit drin haben, der versucht uns zu motivieren, mehr Schritte zu laufen.
SPRECHERIN
Aber nicht nur beim Sprachelernen oder beim Morgensport kommt Gamification zum Einsatz, sondern vor allem auch in der Arbeitswelt. In Call-Centern werden Leaderboards aufgehängt, die zeigen, wer die meisten Anrufe erfolgreich abgeschlossen hat. Lieferfahrer sammeln Punkte für pünktliche Zustellungen. Verkäufer erhalten virtuelle Abzeichen für erreichte Umsatzziele. Die psychologischen Mechanismen, die uns in World of Warcraft motivieren, Wildschweine zu jagen, sollen nun also auch die Produktivität am Arbeitsplatz steigern. Und da fangen die Probleme an. Benjamin Strobel.
ZUSPIELUNG 07 O-Ton 7
Also das Interessante am Spiel ist ja, dass es freiwillig passiert. Ja. Wenn wir uns das vorstellen. Spieldefinition Wir betreten einen magischen Kreis, in dem andere Regeln gelten. Und wir tun es immer freiwillig. Was nicht freiwillig passiert, das kann definitionsgemäß kein Spiel sein. Deswegen ist Gamification eigentlich auch ein Widerspruch.
SPRECHERIN
Statt intrinsischer Motivation entsteht mit Hilfe von Gamification also eine Art süßer Zwang. Wie Brokkoli mit Schokoladenüberzug - der Brokkoli selbst wird dadurch nicht schmackhafter. Im Gegenteil: Wenn die spielerischen Elemente irgendwann wegfallen, hat man noch weniger Lust auf die eigentliche Arbeit als zuvor.
ZUSPIELUNG 08 O-Ton 8
Das heißt, die Tätigkeit selber tritt eigentlich umso weiter in den Hintergrund für mich. Sie wird keinesfalls interessanter dadurch. Interessant ist dann vielleicht nur noch der Highscore. Und hier wissen wir auch wenn wir solche extrinsischen Motivatoren einführen, ja dann wird die Handlung das Verhalten auch nur noch dann gezeigt, solange auch diese Belohnung noch passiert. Wenn jetzt diese Belohnung irgendwie schlechter wird oder vielleicht wegfällt, weil man sich entscheidet, dieses System nicht mehr zu benutzen. Dann falle ich quasi in ein Loch und habe auf die eigentliche Tätigkeit noch viel weniger Lust als zuvor, weil die extrinsischen Motivatoren die intrinsische Motivation, von der ich vielleicht noch ein bisschen übrig hatte, zerstören können.
Musikbreak für Sendung
SPRECHERIN
Während wir in unserer Freizeit selbst entscheiden können, ob wir Dämonen umhauen oder Tetris-Blöcke stapeln wollen, wird Gamification am Arbeitsplatz sogar oft als manipulativ empfunden. Die Punktesysteme und Leaderboards schaffen zwar kurzfristig Motivation - aber der aufgesetzte Spielcharakter erschöpft sich rasch. Was übrig bleibt, ist oft nur noch mehr Stress und Leistungsdruck. Und manchmal sogar weniger Freude an der eigentlichen Arbeit als zuvor. Ein Dilemma, das auch Marcos Kalinowski von der Universität Rio De Janeiro beobachtet. Der Professor für Software Engineering hat erforscht, wie sich Gamification beispielsweise auf die Motivation der Schüler auswirkt, wenn sie lernen
ZUSPIELUNG 09 O-Ton 9, Marcos Kalinowski
one of the effects that we observed is exactly related to this. It's called the novelty effect, which refers to a behavior when the when there's something that is, uh, there's a new feature and people start using it, and then people get motivated because it's new, but after some time, it just it's not new anymore. And people kind of get bored to, okay, why do I have to do this? Why do I need a badge? Why do I need an avatar? Or to configure my. So these kind of elements, the novelty effect was one of the observed things that people engaged at the beginning, that at some point they think, oh, just these game elements, I just want to do my job.
Overvoice männlich
Wir beobachten oft den sogenannten Neuheitseffekt: Am Anfang sind die Leute begeistert von den spielerischen Elementen, sie sind motiviert, weil alles neu und spannend ist. Aber mit der Zeit lässt diese Begeisterung nach. Sie fragen sich dann: Wozu brauche ich eigentlich diese ganzen Abzeichen und Avatare? Das wird schnell zur lästigen Pflicht.
Musik 5: A picture in motion – siehe vorn – 53 Sek
SPRECHERIN
Was die Forscher beobachten, kennt jeder Spieler: Irgendwann nutzt sich auch die spannendste Spielmechanik ab. Was am Anfang noch Spaß machte, wird zur Routine. Und dann kippt das Spiel und wird zu, nunja, Arbeit. Und dann kommt noch ein weiteres Problem hinzu - ein Phänomen, das man "Gaming the System" nennt: In World of Warcraft suchen Spieler nach Wegen, die Spielmechanik zu ihrem Vorteil zu nutzen: Sie finden versteckte Abkürzungen in Dungeons oder Methoden, besonders starke Gegner ohne Gefahr zu besiegen. Tricksen ist bei Computerspielen von jeher an der Tagesordnung. Aber in der gamifizierten Arbeitswelt oder beim Lernen kann das zum Problem werden.
ZUSPIELUNG 11 O-Ton 11, Marcos Kalinowski
It's also some some ethical issues like trying to gain gaming the system, trying to do things just to get the points in the gamified aspect, but not doing the job itself or the work that has to be done, or the the educational tasks that have to be done. But trying to cheat in a way to to get more points so that you, um, score well in the gamified system, but in the end you get not. You do not achieve the main objectives. You might not achieve the main objective, which. In the case of the systems that we have investigated was educational systems. So. Learning the learning aspects. You might cheat just to get the points, but you might not learn what you had to learn.
Overvoice männlich
Sie tun dann Dinge nur noch, um im Gamification-System Punkte zu bekommen, aber erledigen ihre eigentlichen Aufgaben nicht mehr richtig. In den Bildungssystemen, die wir untersucht haben, war das besonders deutlich zu sehen: Die Schüler sammelten zwar fleißig Punkte, aber lernten nicht das, was sie eigentlich lernen sollten.
SPRECHERIN
Während die Gamification-Experten noch über Vor- und Nachteile diskutieren, zeigt sich noch ein grundsätzliches Problem: Was für den einen motivierend ist, kann für den anderen völlig uninteressant sein. Manche Menschen lieben Highscores und Wettbewerb, andere bevorzugen ruhiges Puzzeln. Manche spornen Abzeichen an, andere fühlen sich dadurch bevormundet. Ein System, das für alle funktioniert, gibt es nicht. Und manchmal kann gutgemeinte Gamification sogar kontraproduktiv sein - etwa wenn erfahrene Mitarbeiter mit simplen Belohnungen abgespeist werden sollen.
ZUSPIELUNG 12 O-Ton 12 Bräuer
Es kommt ganz stark auf den Kontext an, in dem wir das einsetzen wollen. Da kommen auch so Effekte mit rein, wie dass man weiß, wenn ich Leute belohne, also durch Feedback immer sehr starkes positives Feedback gebe für etwas, was sie schon gut können, dann funktioniert das am Ende nicht so gut, sondern hat eher einen gegenteiligen Effekt. Das heißt, das muss an das Erfahrungslevel und Leistungslevel der jeweiligen Person angepasst sein. Sonst machen wir eigentlich das, was wir erreichen wollen, kaputt.
SPRECHERIN
Gamification ist also kein Wundermittel, das die Welt automatisch besser macht. Es kann uns manchmal helfen, den inneren Schweinehund zu überwinden - sei es beim Sprachenlernen oder beim Sport. Aber die spielerischen Elemente können auch missbraucht werden, etwa um aus Mitarbeitern noch ein paar Prozent mehr Produktivität herauszuquetschen und um schlechte Bezahlung und miese Arbeitsbedingungen mit ganz viel Gamifizierung-Glitter zu übertünchen. Doch seine düstersten Seiten zeigte Gamification 2019, bei den Terroranschlägen in Christchurch und in Halle.
Musik 6: Somber Secrets – 1:07 Min
ZUSPIELUNG
Tagessschau-Ausschnitt Halle
SPRECHERIN
In einschlägigen Online-Foren wurden die Opferzahlen wie Highscores behandelt, die es zu überbieten galt. Aus Mordopfern wurden Punkte, aus Grausamkeiten wurden "Achievements", also digitale Auszeichnungen, wie sie Spieler sonst für besondere Leistungen bekommen. Die gleichen Mechanismen, die uns sonst zum Sport oder zum Lernen motivieren sollen, wurden hier zur Inspiration für weitere Gewalttaten missbraucht, sagt der Kulturwissenschaftler Christian Huberts. Vor allem die Kommunikation rund um Terror wurde nach Spieleprinzipien organisiert.
ZUSPIELUNG 13 O-Ton 13
Also auch, dass dann Onlineportale sich mehr oder weniger darauf spezialisiert haben, eben auch den modernen Terrorismus als Highscore Liste zu betrachten und dort eben Opferzahlen sammeln. Vergleichen auch mit dem Ziel eben so im im Sinne eines stochastischen Terrorismus, um eben auch so Anreize zu schaffen und zu sagen, wer kann diese Highscore jetzt vielleicht noch brechen?
Musik 7: The right way round– siehe vorn – 36 Sek
SPRECHERIN
Gamification alleine macht die Welt also nicht zu einer besseren, wie Jane McGonigal 2011 prophezeit hat. Wie so oft in der Menschheitsgeschichte ist es ein Werkzeug, das nur so gut ist, wie die Intention derjenigen, die es benutzen. Zugleich zeigt sich ein interessantes Phänomen: Während die Arbeitswelt immer spielerischer werden soll, werden manche Computerspiele immer arbeitsähnlicher. "Workification" nennen Beobachter diesen Trend.
ZUSPIELUNG 14 O-Ton 14
Arbeit spielt eben auch als Thema eine große Rolle in Computerspielen. Und das ist ja jetzt grundsätzlich erstmal nicht falsch. So, Arbeit ist ja auch was Spannendes und ein Teil unseres Lebens, der sich auch spielerisch erkunden lässt. (…) Das hat, denke ich, auch eine entlastende Funktion, wenn sonst der Arbeitsalltag geprägt ist von von Druck, von existenziellen Druck und der Notwendigkeit, eben Geld zu verdienen.
SPRECHERIN
In Computerspielen arbeiten wir gerne, weil wir dort eigentlich nicht arbeiten müssen. Und umgekehrt wollen wir in der Arbeit möglicherweise gar nicht spielen, weil wir dann dort spielen müssen. Aber vielleicht können Computerspiele ja trotzdem einen Beitrag zu einer besseren Welt leisten, wenngleich anders, als sich das Jane McGonigal damals vorgestellt hat. Und hier kommen sie dann doch wieder in Spiel, all die Abzeichen, die Punkte, die Levelaufstiege und Highscores.
ZUSPIELUNG 15 O-Ton 15
Also es gehört halt alles dazu. So ein bisschen wie wie Salz in der Suppe. Wenn es. Wenn es fehlt, ist es schlecht. Wenn es zu viel ist, schmeckt es nicht auch nicht gut.
ZUSPIELUNG ATMO 7 Beholder 3
SPRECHERIN
Jörg Friedrich ist Chef des Spielestudios Paintbucket Games. Eines seiner Spiele, through the darkest of times“ erzählt die Geschichte des zivilen Widerstandes im Nationalsozialismus. Ein anderes, Beholder 3, thematisiert Bespitzelung in einem autoritären Regime.
ZUSPIELUNG 15 weiter O-Ton 15, weiter
Es kommt echt immer drauf an, was man erzählen möchte und ob es dazu passt, finde ich. Also nicht überall passen Punkte dazu, nicht überall passen Abzeichen dazu. Man kann aber auch, finde ich, ganz interessante Sachen mit Punkten und Abzeichen erzielen an Orten, wo sie die Leute nicht erwarten. Oder man kann mit so klassischen Progressions und Punktesystem Leute etwas erzählen, was also was funktioniert, weil es in einem Game ist, aber eigentlich was erzählt, was vielleicht aus der realen Welt stammt.
ZUSPIELUNG Atmo 7, Beholder 3
SPRECHERIN
In Beholder 3 beispielsweise kann man Missionen erfüllen, ganz so wie in World of Warcraft und vielen anderen Spielen. Man schlüpft in die Rolle eines Spitzels in einem totalitären Staat, der seine Nachbarn ausspioniert und verpfeift. Und wie in jedem guten Rollenspiel bekommt man auch hier Erfahrungspunkte und steigt im Level auf - nur dass man diesmal keine Wildschweine jagt oder Drachen besiegt, sondern das Leben seiner Mitmenschen zerstört.
ZUSPIELUNG 16 O-Ton 16
Und das Ganze ist aber eben übertragen auf so ein totalitäres System und eigentlich ist es halt alles scheiße. Also du kriegst diese Punkte, du wirst die ganze Zeit belohnt. Ah gut, ich habe wieder Punkte bekommen, aber eigentlich ist es scheiße, weil du ... am Ende irgendwie total üble Dinge tust. Und das ist so diese Diskrepanz finde ich halt ganz, ganz spannend. Und deswegen mag ich so Systeme. Auch weil sie weil Leute einfach was damit anzufangen wissen und man sie dann anders verwenden kann, um interessante Dinge zu tun.
ATMO (Spielmusik aus World of Warcraft)
SPRECHERIN
Interessante Dinge tun - vielleicht liegt genau hier der Schlüssel. Nicht die spielerischen Elemente selbst sind gut oder schlecht, sondern was wir daraus machen. Sie können uns antreiben, mehr Sport zu treiben oder eine neue Sprache zu lernen. Sie können aber auch missbraucht werden, um Menschen zu manipulieren oder sogar zu Gewalt anzustacheln. Und manchmal können sie uns sogar helfen, die Welt besser zu verstehen: Wenn wir in einem Spiel wie Beholder 3 Punkte für moralisch verwerfliche Handlungen bekommen, spüren wir am eigenen Leib, wie Belohnungssysteme uns zu Dingen verführen können, die wir eigentlich ablehnen. (Atmo 1 World of Warcraft dazu) Am Ende ist es wie mit dem Wildschwein in World of Warcraft: Jeder Klick bringt uns Erfahrungspunkte - aber wohin die Reise geht, das entscheiden nicht die Punkte, sondern wir selbst.