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Ökosystem Prärie - Leben im Meer aus Gras

Einst dehnten sich die Graslandschaften Nordamerikas über Millionen Quadratkilometer aus. Heute ist von diesem einzigartigen Ökosystem nur ein Bruchteil übrig. Doch selbst auf diesen oft kleinen Prärie-Inseln zeigt sich bisweilen noch die unglaubliche Vielfalt einer Tier- und Pflanzenwelt. Von Susi Weichselbaumer

Ökosystem Prärie - Leben im Meer aus Gras | Bild: picture alliance / imageBROKER | Phil Degginger
23 Min. | 4.4.2025

VON: Susi Weichselbaumer

Ausstrahlung am 4.4.2025

SHOWNOTES

Credits
Autorin dieser Folge: Susi Weichselbaumer
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Herbert Schäfer, Katja Bürkle, Jenny Güzel, Carsten Fabian
Technik: 
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Jessica Hindl, Museumsführerin Exploration Place, Wichita Kansas
Alan Molumby, Biologe, University of Illinois Chicago (James Woodworth Prairie Preserve)

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Linktipps:

Das sind die Links zu den Preserves

https://www.nps.gov/tapr/index.htm

https://prairie.bios.uic.edu/

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Durch die Ritzen in den Holzwänden der verwitterten Scheune fällt orange-

goldenes Sonnenuntergangslicht. Staubflusen schweben in der Luft. Es riecht nach Heu und Stroh – 

SPRECHER

Und nach Anstrengung. 

SPRECHERIN

Es ist Prärietanzabend im Tallgrass Prairie Preserve, einem Landschaftsschutzgebiet nördlich von Strong City in Kansas. Zur Fiddle-Musik haken sich Square-Dance-erfahrene Anwohner und lernwillige Touristen unter – 

SPRECHER

Es wird reichlich auf Füße getreten. 

SPRECHERIN

Was okay ist. Denn altes Prärie-Motto: Alles findet seinen Platz. 

ATMO Dance ENDE// ATMO PRÄRIE

SPRECHER

Früher vielleicht. Da konnte man nahezu unendlich viel Platz finden in der Prärie. Da dehnten sich die Graslandschaften Nordamerikas über 2,7 Millionen Quadratkilometer weit aus. Von den Laubwäldern des östlichen Tieflands bis zu den Rocky Mountains im Westen und den dichten Nadelwäldern im Osten. Im Wind wogendes Gras – 

SPRECHERIN

Bis zum Horizont: Gelblich-grün geringeltes Stachelschweingras, elegantes Weizengras, krautiges Büffelgras – 

SPRECHER

Dazwischen leuchten Prärieblumen in knalligem Blau, Grellgelb – 

SPRECHERIN

Oder zartem Rot. 

SPRECHER

Wuselige Zikaden – schillernd in allen Farben – hüpfen hierhin und dahin.

SPRECHERIN

Massige, dunkelbraun-zottelige Bisons ziehen gemächlich ihre Runden. 

SPRECHER

Wendige Kojoten schleichen sich lautlos an –

ATMO Präriehunde

SPRECHERIN

Milchkaffeebraune Präriehunde warnen die Nachbarschaft per Alarmruf und sind flink im Erdloch verschwunden. 

SPRECHER

In einer Prärie ist es bunt. 

SPRECHERIN

Und: Alles findet in diesem einzigartigen Ökosystem irgendwo seinen Platz, schwärmt Alan Molumby. Er ist Biologe an der Universität Chicago und forscht zu Graslandschaften. 

1 ZU Alan 3.28 Prairies are heterogenous… + 4.30 In a real prairie…

OVm

Die echte Prärie ist heterogen. Läuft man drei Meter, setzt sich die Vegetation anders zusammen. Nochmal drei Meter: Wieder neu. Das gilt auch für verschiedenen Insekten, für bestimmte Tiere. Diese winzigen Mikrohabitate bilden eigene Ökosysteme in einem großen Ökosystem, das durchlässig ist für Austausch hierhin und dahin. Das sieht man nur in einer echten Prärie.  

MUSIK

SPRECHERIN

Kurzer Rückblick: Entstanden ist die „echte“ Prärie in der letzten Eiszeit. 

SPRECHER

Die beginnt vor rund 2,6 Millionen Jahren und endet vor 12.000 Jahren. 

SPRECHERIN

In dieser Zeitspanne formen Gletscherbewegungen und daraus entstehende Erosionsprozesse die weiten, leicht welligen Flächen, die charakteristisch sind für die Prärie. 

SPRECHER

Schmelzwasserflüsse lagern Sedimente ab. Dadurch wird der Boden fruchtbar. 

SPRECHERIN

Ideal für Präriegräser, die sofort anfangen zu sprießen. 

SPRECHER

Und nie mehr aufhören – 

SPRECHERIN

Wenn man sie lässt. Denn:

MUSIK ENDE

SPRECHER

Viele „echte“, also ursprüngliche Prärie gibt es heute in Nordamerika nicht mehr. 

SPRECHER

Von der ehemaligen Opulenz und Größe ist kaum etwas erhalten. 

SPRECHERIN

In Fläche ausgedrückt: Gerade mal noch vier Prozent! Von besagten eine Million Quadratkilometern. 

MUSIK

SPRECHER

Der Grund: Ab den 1860er Jahren drängen Einwanderer aus Europa in diese fruchtbaren und weitläufigen Gebiete. Sie bauen Dörfer, gründen Städte, legen großzügig Acker- und Weideflächen an. Die Technisierung der Landwirtschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt der Prärie fast komplett den Rest. Riesige bewässerte Agrarareale dehnen sich bald kilometerweit aus. 

SPRECHERIN

Die Hügel, vormals üppig bewachsen von verschiedensten Präriegrasarten, zig bunten Blumensorten –

SPRECHER

Bewohnt von Säugetieren, Reptilien, Insekten –

SPRECHERIN 

Vögeln - 

SPRECHER

Diese Hügel macht man platt. Begradigt sie. 

SPRECHERIN

Zum Wohle der Landwirtschaft. Denn: Die boomt ab den 1920er Jahren dank brandneuer Riesenmaschinen und leistungsfähiger Traktoren. In Oklahoma, Kansas, Texas, New Mexico, Colorado reiht sich Feld an Feld. Das Motto der meisten Landwirte: Größer, schneller, mehr! Anbauen, ernten, anbauen, ernten… Bis man es geschafft hat: Vom kleinen Farmer zum Millionär!

MUSIK ENDE

SPRECHER

Der typische amerikanische Pioniertraum.

SPRECHERIN

Allerdings wohl nur der Traum des eingewanderten weißen Mannes. Die Native Americans, die amerikanischen Ureinwohner, werden in diesem Prozess schon immer verdrängt, verjagt, getötet. Mit ihnen verschwindet das natürliche und ressourcenschonende Zusammenleben von Mensch und Natur. 

ATMO PRÄRIE Preserve Anfahrt Auto/ MUSIK

SPRECHER

Wer heute noch „echte“ Prärie erleben will, setzt sich in den USA ins Auto.

SPRECHERIN

In den Vereinigten Staaten nimmt man für ziemlich alles das Auto: Zum nächsten Supermarkt. Zur Apotheke, zur Schule, zum Kindergarten, ins Fitnessstudio: Auto! 

SPRECHER

Zum nächsten Prärieerlebnisse auch. Gut zwei Stunden dauert die Fahrt von Kansas City nach Südwesten auf der Interstate 35, links und rechts der Fahrbahn: Unendliche Felder. In der Nähe des 400-Einwohner-Örtchens Strong City zeigt ein Schild die Abfahrt an zum Tallgrass Prairie Preserve. 

ATMO Tallgrass PRÄIRIE

SPRECHER

In den Flint Hills gelegen umfasst das Schutzgebiet gut 45 Quadratkilometer. 

SPRECHERIN

Das klingt kompakt. Tatsächlich ist es aber einer der größten noch existierenden „echten“ Prärieabschnitte Nordamerikas. 

MUSIK

SPRECHERIN

Ins Tallgrass Prairie Preserve mit seinen insgesamt rund 60 Kilometer Wanderwegen in unterschiedlichen Längen und Schwierigkeitsstufen, von der ebenen Schotterpiste bis zum steil ansteigenden Trampelpfad, kommen Besucherinnen und Besucher vor allem aus nostalgischen Gründen. Man wirbt mit Cowboy- und Pionierromantik. Es „john-wayned“ ziemlich. 

SPRECHER 

Es fühlt sich richtig an wie im Film „Der mit dem Wolf tanzt“. Gäste haben hier die Chance ein echtes Bison zu treffen. Nicht hintern Gittern im Zoo, sondern in der Natur – 

SPRECHERIN

Neben Schotterpiste und Trampelpfad. 

2 ZU Alan 11.44 In the USA we like it big… little things.

OVm

In den USA mögen wir große Tiere. Überhaupt muss alles groß sein. Also schützen wir in den Vereinigten Staaten das amerikanische Bison, den Florida Panther oder den Kalifornischen Condor. 

SPRECHER

Erklärt Biologe und Prärieexperte Alan Molumy, warum es gut funktioniert mit einem Bison auf Plakaten, Flyern und Broschüren zu werben für das Schutzgebiet. 

MUSIK

SPRECHERIN

Tatsächlich sind amerikanische Bisons BIG (evtl. aus ZU). Die schwarz-braunen Zottelkolosse werden fast drei Meter lang. Höhe bis zu den Hörnern: Zwei Meter. Männliche Bisons bringen bis zu einer Tonne auf die Waage. Die Weibchen rund die Hälfte.

SPRECHER

Bis in die 1870er Jahre bevölkern sie Million-fach die weiten Ebenen Nordamerikas. Knapp zwei Jahrzehnte später aber sind weniger als 100 Tiere übrig. Die - meist - friedfertigen Wiederkäuer sind leicht zu jagen, ihr Fleisch macht viele lange satt. Ihre Felle lassen Jäger reich werden.

SPRECHERIN

Aufwendige Wiederansiedlungsprojekte retten die Bisons. Im Tallgras Prairie Preserve startet man Anfang der 1990er Jahre mit 300 Tieren.

SPRECHER

Weil sie so eindrucksvoll und per se schützenswert sind, aber auch weil die Prärie sie braucht. Als Grasfresser – 

SPRECHERIN

Als Rasenmäher - 

SPRECHER

Ein Bison putzt schon mal an die 15 Kilo Grünzeug weg pro Tag und schafft damit Platz für frische, nachwachsende Pflanzen. Ist eine Stelle kahlgefressen, marschieren Bisonherden weiter. 

SPRECHERIN

Die einzige Regel dabei: Immer der Nahrung nach.

SPRECHER

Wenn es mal schnell gehen muss, pesen Bisons mit bis zu 55 Kilometern pro Stunde über die Prärie. Schwimmen können die Tiere auch. Und hüpfen, bis zu zwei Meter hoch. Aber nur, wenn es sein muss.

SPRECHERIN

Denn: Bisons mögen es pragmatisch: Kühe, also weibliche Bisons, sind die Anführerinnen der Familiengruppen. Die Männchen schneien nur zur Paarungszeit im Frühling herein.

SPRECHER

Nehmen sich dann aber durchaus Zeit auch für mehrere Kühe. 

MUSIK ENDE

SPRECHER

Übrigens die dicken Nacken der Männchen, diese charakteristischen Stiernacken –

SPRECHERIN

Alles Muskeln…

SPRECHER

Ja, das sind Muskeln!

ATMO PRAIRIE Tallgrass Gatter

SPRECHERIN

Heute leben etwa 2000 Bisons im Tallgrass Prairie Preserve in Kansas. In einem eingezäunten Bereich. Mutige Besucherinnen und Besucher dürfen das Gatter öffnen und reinspazieren. 

SPRECHER

Aber Achtung, steht auf dem Schild am Elektrozaun: „Ab hier Bisons. Falls ein Tier herankommt, gehen sie ihm aus dem Weg!“

SPRECHERIN

So viel Nähe zu den Touristen mit ihren Kameras und Brotzeitrucksäcken suchen die Tiere hier aber gar nicht. Wie schwarze Berge ragen sie ab und an aus dem hohen, dichten Präriegras. Bisweilen setzen sie sich langsam in Bewegung. Kraftvoll und erhaben sieht das aus. Nach Urgewalt und als ob die Welt schon immer so gewesen ist. In aller Ruhe, fließend. Alles eins und Platz für jedwedes. 

SPRECHER

Meinen manche vielleicht. Andere werden eher unerhaben ungeduldig: Bitte wie soll man ein ordentliches Foto schießen, wenn die Tiere dauernd im meterhohen Gras manövrieren wie U-Boote, von denen man nur den Kommandoturm sieht? 

SPRECHERIN

Naja, es heißt ja auch Tallgrass Prärie. Also Hochgras-Prärie. 

MUSIK

SPRECHERIN

Um das zu erklären, muss man grundsätzlich anfangen, und da gilt: Graslandschaft ist nicht gleich Graslandschaft. Die nordamerikanische Prärie unterscheidet sich von anderen Graslandschaften wie den Savannen in Afrika oder den Steppen Afrikas und Europas durch das stark wechselnde Klima. Die Sommer in der Prärie sind glühend heiß. Die Winter frostig kalt.

SPRECHER

Was wächst, sind hauptsächlich Gräser. Oft über 60 verschiedene Arten an einem Fleck. Die stecken solche enormen Temperatursprünge weg. 

SPRECHERIN

In den eher niederschlagsreichen Gegenden, beispielsweise in östlichen Regionen der USA, gibt es vor allem Tallgrass – Hochgras. Robust ragen Tallgrassvertreter gut zwei Meter auf. Ihre Halme sind teils fingerdick.

SPRECHER

Die langen filigranen Halme des Big Bluestem mit den zarten lila Puscheln oben dran stehen in struppigen Büscheln zusammen. Indian Grass kommt eher einzeln vor, an den gelben Blüten wachsen winzige gold-braune Ministachel wie Indian Grass-Spikes. 

SPRECHERIN

Nach Westen hin wird das Klima zunehmend trockener. Je weniger Niederschlag, desto niedriger die Vegetation. Für sogenanntes Kurzpräriegras, das zwischen 20 und 30 Zentimeter hoch wird, sind die Great Plaines bekannt. Sie erstrecken sich von Texas im Süden der Vereinigten Staaten bis in den Norden, nach Alberta in Kanada.

SPRECHER

Buffalo Grass mit den satthellgrünen, breiten Blättern. Blue Grama Grass – dessen Spitzen aussehen, als hätte man einen lila Zahnbürstenkopf angeschraubt -

MUSIK ENDE

SPRECHERI

Viel Prärie-Gefühl stellt sich in besagten Great Plaines jedoch nicht mehr ein. Riesige Landwirtschafts- und Weideflächen, zum Großteil eingeebnet und mit künstlichen Bewässerungssystemen durchzogen, haben längst monoton und gleichförmig gemacht –

SPRECHERIN

Was einst divers war und bunt.

3 ZU Jessi 3.00 As tall as…

OVw

So hoch das Präriegras auch ist, die Wurzeln gehen noch dreimal so tief. Sie halten die Erde, verhindern einen Abtrag durch Wind. Das Ökosystem an der Oberfläche ist riesig. Im Boden ist es noch viel komplexer. 

ATMO PRÄRIE

SPRECHERIN

Erklärt Jessica Hindel. Sie ist Flugingenieurin in Wichita, im südlichen Kansas. Dort wo etliche große amerikanische Flugzeugunternehmen Airbus und Co. fertigen. 

SPRECHERIN

Ehrenamtlich arbeitet Jessica im Exploration Place Center, Wichitas interaktivem Museum. Dort erklärt sie den Gästen unter anderem, wie die Prärie funktioniert. 

SPRECHER

Und wie eben nicht.

SPRECHER

Vieles dabei ist Familiengeschichte. 

MUSIK

SPRECHERIN

In den 1930er Jahren überstehen Jessicas Großeltern die sogenannte „Dust Bowl“ – die „Staubschüssel“. Weite Teile der Prärie in Kansas sind damals bereits Äckern und Viehweiden gewichen. Das robuste Präriegras, dessen Wurzeln den Boden festigen und Wasser binden, ist weg. 

SPRECHER

Solange es ausreichend regnet –

SPRECHERIN

Egal. Als 1930 aber klimabedingt eine Dürre einsetzt, Niederschläge ausbleiben, Stürme übers Land fegen – 

SPRECHER

Bläst es - ohne eben dieses Präriegras - den Menschen im Wortsinn die Lebensgrundlage davon. Die Felder verdorren. Bewässerungssysteme versagen. In die Häusern dringt schwarzer Staub und brauner Sand in jede Ritze. Lungenkrankheiten breiten sich aus. 

SPRECHERIN

Hilfe bleibt aus.

SPRECHER

Es ist die Zeit der Großen Depression. Staatliche Subventionen? Fehlanzeige! Unter dem republikanischen Präsidenten Herbert Hoover hätte so etwas dort schon fast gegolten als erster Schritt zum Kommunismus. 

SPRECHERIN

Zeitungen rund um die Welt bringen Fotos von verzweifelten Müttern vor verfallenden Farmhäusern, an der Hand verdreckte Kinder. 

SPRECHER

Im Hintergrund vertrocknete Felder.

MUSIK ENDE

SPRECHERIN

Irgendwann setzt der Regen wieder ein –

SPRECHER

Nach Jahren des Elends. 

SPRECHERIN

Und: Die US-Regierung unter dem nächsten Präsidenten Franklin D. Roosevelt lässt mehr als 200 Millionen Bäume pflanzen. Die sollen Schutz bieten gegen Wind, Stürme, Erosion und die Bewässerung verbessern. 

SPRECHER

Aber: Bäume in die Prärie setzen? Wo sie ursprünglich überhaupt nicht wachsen, weil es in den Kurzgraspräiren seit jeher zu trocken ist für Baumwuchs? Und in den Langgras-Prärien tiefwurzelnde und konkurrenzstarke Gräser eine so dichte Krautschicht bilden, dass Bäume gar nicht erst keimen?

ATMO Prärie 

SPRECHERIN

Die Maßnahmenpakte der Politik funktionieren schließlich auch mehr so mäßig. 

SPRECHER

Was aber passiert: Die Prärie tut das, was sie am besten kann – 

SPRECHERIN

Zumindest auf Flächen, wo man sie lässt: 

SPRECHER

Sie bildet neue, bunte und vielfältige Mikroökosysteme aus. 

4 ZU Jessi 3.38 I like the dizzels…7 0006

OVw

Ich mag die Diestel, die sehen fast aus wie Blumen mit dieser lila Farbe. Und: Sie stechen. So nach dem Motto: Oh, ich bin wunderschön. Aber fass mich bloß nicht an! Das ist ein natürlicher Schutz gegen Fressfeinde. Rehe würden da nicht abbeißen wollen. 

SPRECHER

Erzählt Museumsführerin Jessica Hindel. Sie rät Besucherinnen und Besuchern rauszufahren an den Stadtrand von Wichita. In ein Naherholungsgebiet im Präriestil, angelegt vor knapp vierzig Jahren. Etwa anderthalb Quadratkilometer groß.

5 ZU Jessi 6.64 And the natural sun flowers…

Die wilden Sonnenblumen liebe ich am meisten. Weil sie nicht kultiviert sind, haben sie nicht so viele Samen und diese großen Blüten, die man aus den Blumenläden kennt. Sie sind kleiner, aber sie wachsen bis zu fünf Meter hoch. Ein gigantischer Blumenbaum!

SPRECHER

Die wilden Sonnenblumen sind das Wappensymbol ihres Heimatstaates Kansas. Für Jessica ist die Prärie der Ort, an den sie geht, wenn sie ausspannen möchte nach der Arbeit in der Flugzeugfabrik oder dem ehrenamtlichen Job im Museum. Als kleines Mädchen hat ihr Vater sie häufig mit genommen auf Ausflüge ins rund 120 Kilometer entfernte Tallgrass Prairie Preserve. 

6 ZU 7.50 As a kid I would basically swim in the grass and hang out. 

OVw 

Als Kind schwamm ich da richtig durchs hohe Gras und wartete endlos darauf, Rehe zu sehen. Stinktiere und Waschbären können ja aufdringlich werden, aber Rehe halten Abstand. Und wenn man eines bemerkt in der Entfernung, selbst hier in der angelegten Prärie in Wichita - das ist wie ein Einhorn sehen. Seit ich Kind bin, möchte ich einmal nach Wyoming und wilde Mustangs in der Prärie laufen sehen. Weite und nur Geschwindigkeit. Das muss majestätisch sein. In der Stadtprärie haben wir Habichte und andere Beutegreifer – das ist schon auch so ein Gefühl: Toll, dass es die noch gibt und dass sie zumindest in diesem kleinen Bereich den Himmel beherrschen. 

MUSIK

SPRECHER

Kleiner Bereich. Nett, aber überschaubar. Das scheint inzwischen das Schicksal der Prärie zu sein.

SPRECHERIN

Variantenreich, auch für Kleingärten bieten bei uns in Deutschland zahlreiche Bau- und Gartenmärkte die Prärie an für daheim vor die Terrasse. 

SPRECHER

Die meisten Präriestauden blühen im Sommer. Wiesensalbei, Prachtscharte, Seidenblume, Scheinsonnenhut. Im Herbst folgen Fetthenne, Sonnenbraut, Eisenkraut oder Gaura. 

SPRECHERIN

Im Bau- und Gartenmarktkatalog sieht das Bild zur Heimprärie immer aus wie eine bunt zusammengewürfelte Mischung. 

MUSIK ENDE

SPRECHER

Was Prärie ja im Grunde auch ist. Das Wort haben die französischen Einwanderer nach Nordamerika mitgebracht: Prairie. Das bedeutet schlicht Wiese oder Weide. 

SPRECHERIN

Von dieser Prairie – der einst größten zusammenhängenden Wiese des Kontinents - ist kaum etwas geblieben. Verstreute Reste „echter“ Prärie finden sich in Schutzgebieten, entlang von Schnellstraßen oder Eisenbahntrassen. 

SPRECHER

Friedhöfe aus der Pionierzeit, die niemand auflösen oder bebauen wollte, sind oft auch noch kleine Prärie-Biotope. 

ATMO John Woodworth Preserve 

SPRECHER

Oder das John Woodworth Prairie Preserve in Chicago, ein fünf Hektar großes Areal, zwischen Wohnblocks und Bürogebäuden. Hier erforscht Biologe Alan Molumby das Ökosystem Prärie. 

7 ZU Alan 0.00 It is about… special for that

OVm

Von den Abmessung kann man sich das in etwa so vorstellen wie den Parkplatz eines Einkaufszentrums. Aber das ist noch echtes Grasland. Aktivisten in den 1960er Jahren haben hunderte von Briefen geschrieben, bis die Behörden endlich eingewilligt haben, dieses Stück Land nicht zu bebauen, sondern zu erhalten. Allerdings ist das schwierig – so als winzige Insel umgeben von jeder Menge menschlicher Entwicklung.

SPRECHERIN

Im einkaufszenterparkplatzgroßen John Woodworth Prairie Preserve in Chicago ist für typische Präriebewohner wie Kojoten, Präriehunde, Füchse, Falken oder Adler erheblich zu wenig Platz. 

SPRECHER 

Zwergmaus, Prärietaschenmaus, nördliche Grashüpfermaus kämen raumtechnisch schon irgendwie hin. Problem bloß – und das haben genauso etliche Insekten, Reptilien, Amphibien: Man sitzt –

SPRECHERIN

Aufeinander.

SPRECHER

Für immer.

8 ZU Alan 8.11 Size really matters… habitats

OVm

Die Größe ist bei Graslandökosystemen das A und O. Viele Spezies haben sich in der Evolution spezialisiert auf weite Flächen, nicht geschlossene Habitate.

SPRECHERIN

Erklärt Biologe Alan Molumby. 

9 ZU Alan 5.00 In Chicago …

OVm

In Chicago haben wir jede Menge gemeine Zikaden, manche vermehren sich jedes Jahr. Es gibt hier auch die weltbekannten Zikaden, die nur alle 17 Jahre aus der Erde kommen, um sich zu paaren. Sie alle nutzen das Wurzelwerk von Bäumen für ihre Larven. Die Prärie-Zikaden hier im John Woodworth Prairie Preserve pflanzen sich alle zwei Jahre fort. Ihre Nachkommen werden im Wurzelwerk von Präriegras groß. 

MUSIK

SPRECHERIN

Aber: Genetisch vermischt sich da irgendwann nichts mehr. 

SPRECHER

Was auch daran liegt, dass diese Zikaden schlechte Flieger sind. Wenn sie abheben, dann kurz, für ein, zwei langsame Meter Luftlinie. Über den Highway kommt damit nicht.

10 ZU Alan 5.00 So when females emerge …

OVm

Wenn jetzt also die Larven, die lange in der Erde gelebt haben, zu adulten Tieren werden und die Weibchen aus der Erde schlüpfen und sie hören, wie die auch eben erst an der Oberfläche angekommenen Männchen diesen markanten Gesang anstimmen – dann paaren die sich. Und 15 Minuten später legen sie ihre Eier im Präriegrass ab und das wird die nächste Generation. Wenn ich als Biologe verhelfen will zu mehr genetischer Durchmischung, muss ich direkt nach der Paarung ein Weibchen fangen, rein ins Auto, sämtliche örtlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen brechen, zum nächsten Stückchen Prärie fahren – nur, das ist erheblich weiter entfernt als 15 Minuten. Diese Zikaden stecken hier fest. 

SPRECHERIN

Und sterben auf nicht ganz lange Sicht unweigerlich aus. 

11 ZU Alan 16.50 Live survived…

OVm 

Das Leben in der Prärie ging immer weiter. Ob Eiszeit oder Hitzeperiode, weil es sich austauschen konnte. Heute müssen wir damit zurechtkommen, dass wir diese winzigen Inseln geschaffen haben. 

MUSIK

SPRECHERIN

Bilanziert Biologe Alan Molumby. Er plädiert für den Erhalt wenigstens dieser Prärie-Inseln. 

SPRECHER

Auch für Jessica Hindl, Flugzeubauerin und ehrenamtliche Museumsführerin in ihrer Heimatstadt Wichita in Kansas muss die Prärie bleiben. 

12 ZU Jess 0011

There are people who are so proud…

OVw

Die Menschen hier sind stolz auf diese Landschaft. Wenn wer meint: In der Prärie gibt es nichts zu sehen, das ist langweilig – da wäre man sehr beleidigt. Nirgendwo ist der Himmel weiter, das Gras grüner, manchmal sogar neon. 

ATMO PRÄRIEFEUER

SPRECHER

Und nirgendwo brennen die berühmten Präriefeuer eindrucksvoller für Jessica als jeden Frühling in den Flint Hills. Flammen lodern in den Himmel, wenn das Feuer das trockene, zu dichten Matten verwachsene Gras auffrisst, und den fruchtbaren Boden frei macht für kommende Pflanzengenerationen. 

SPRECHERIN

Früher entstanden diese notwendigen Präriefeuer durch Blitzschlag oder zu große Trockenheit. Heute kümmern sich Farmer und Ökologen um kontrollierte Brände. 

SPRECHER

Damit wieder neues Leben einziehen kann.

MUSIK

SPRECHERIN 

In den wenigen verbleibenden „echten“ Prärien Nordamerikas ist es räumlich eng geworden. 

SPRECHER

Schuld daran ist der Mensch, der damit eine gewaltige Chance verspielt: Prärielandschaften könnten große Mengen an Kohlenstoff im Boden fixieren, Treibhausgase in der Atmosphäre binden und helfen, den Klimawandel zu abschwächen. 

SPRECHERIN

Prärien könnten als eines der vielfältigsten Ökosysteme der Welt zig Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bieten. 

SPRECHER

Und dem Menschen das Gefühl geben–

ATMO Dance 2 12 ZU 13:16 + 20:45 

Announcer: Start with the music, and see how we do! MUSIK (runterziehen) And come on home …

SPRECHERIN

Dem Menschen das schöne Gefühl geben eins zu sein mit der Natur. Wie beim alljährlichen Scheunentanz im Tallgrass Prairie Preserve. Draußen geht über den grasbewachsenen Hügeln goldorange die Sonne unter. Drinnen haken sich zur Fiddle-Musik Square-Dance-erfahrene Anwohner und lernwillige Touristen unter – 

SPRECHER

Und treten sich auf die Füße. 

SPRECHERIN

Macht nichts. Es riecht nach Präriegras und Weite und man: Alles eins - In der Prärie kommt man zusammen voran. 

SPRECHER

Nur, wenn ein Bison im Weg steht –

SPRECHERIN

Sollte man schleunigst umdrehen. 


radioWissen | Bild: Getty Images / BR
BAYERN 2

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