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Die Geschichte der Fernsehshow - Worum spielte Deutschland?

Die große Samstagabend-Show versammelte seit den 1950er Jahren die ganze Familie vor dem Fernseher, wie "Wetten, dass...?", "Einer wird gewinnen" in Westdeutschland oder "Ein Kessel Buntes" in der DDR. Inwiefern waren diese Shows für lange Zeit Spiegel der Gesellschaft und Bildungsanker? Von Florian Kummert

Die Geschichte der Fernsehshow - Worum spielte Deutschland? | Bild: picture alliance/United Archives | kpa
22 Min. | 4.4.2025

VON: Florian Kummert

Ausstrahlung am 4.4.2025

SHOWNOTES

Credits
Autor dieser Folge: Florian Kummert
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Susanne Schroeder, Marcus ter Haerst
Technik: Christine Frey
Redaktion: Katharina Hübel und Karin Becker

Im Interview:
Christian Stöffler, Dokumentarfilmer
Klaudia Wick, Journalistin/Deutsche Kinemathek Berlin

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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:


Im Interview-Podcast "Die Blaue Couch" gehen die Hosts Dominique Knoll und Thorsten Otto in den langen Gesprächen ganz einfühlsam auf die Geschichten ihrer Gäste ein, die mal Ärztinnen, mal Promis sind, aber auch Psychologen und ganz viele Menschen mit besonderen Geschichten, beispielsweise Weltreisende. Pro Folge ein Gast. Die Gespräche auf der Blauen Couch sind intensiv, oft bewegend und unterhaltend, ehrlich und tiefgehend. 
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Linktipps:

Infos zu Dokumentarfilm „70 Jahre Samstagsabend-Show“ von Christian Stöffler finden Sie hier auf der WEBSITE

Planet Wissen: Die Geschichte der Fernsehshows in Westdeutschland
finden Sie HIER

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ARD Audiothek | Radiowissen
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ERZÄHLERIN

Diese Melodie hat Millionen vor den Fernseher gelockt: die Anfangsmusik von „Wetten, dass…?“, Europas erfolgreichste Fernsehshow, über Jahrzehnte hinweg. 1981 erfunden von Moderator und Showmaster Frank Elstner. Einer DER TV-Stars aus der Ära der großen Samstag-Abendshows. Sein Konzept: Stars, Showacts und reichlich Glamour, aber als Beiwerk. Im Zentrum stehen die Wettkandidatinnen und -kandidaten. Menschen - scheinbar wie du und ich - die Außergewöhnliches leisten wollen. 
Top, die Wette gilt!

ZITATOR (im Showmaster-Modus)

Schaffen sie es, einen acht Tonnen schweren Lkw auf vier Gläser zu stellen, ohne dass diese zerbrechen?

Schaffen Sie es, durch pure Lungenkraft eine Wärmflasche wie einen Ballon zum Platzen zu bringen?

Schaffen Sie es, mit einem 15 Tonnen schweren Bagger einen 15 Meter hohen Turm hochzuklettern?

ERZÄHLERIN 

Alle drei Wetten glücken. Bei der Baggerwette sind 1997 selbst die Spice Girls als Wettpatinnen sprachlos.

OTON Christian Stöffler 1

Diese Talente, die Verrückten, die sich da extra originelle Wetten überlegen und monatelang proben, das ist eine ganz große Besonderheit. Das auf der einen Seite und dann natürlich die Weltstars auf dem Sofa. Die ganz große Welt kam nach Hause und diese Begegnung zwischen den bekannten Menschen in der Show und den unbekannten Menschen, das hat einen ganz eigentümlichen Reiz.

ERZÄHLERIN 

Findet Christian Stöffler. Der Journalist und Dokumentarfilmer ist nicht nur begeisterter Fernsehshow-Konsument, sondern hat über die Sternstunden der deutschen Fernsehgeschichte etliche Dokumentarfilme gedreht, darunter eine Hommage an „70 Jahre Samstagabend-Show“. Die Königsklasse der Unterhaltungsformate. Das Lagerfeuer der Nation, das Jung und Alt vor den TV-Apparaten versammelte und kollektive Momente ganzer Generationen schuf. Was am Samstagabend lief – war DER Gesprächsstoff, das, was alle gesehen haben mussten, die mitreden wollten. 

OTON Christian Stöffler 2

Es ging immer am Samstagabend darum, eine möglichst große Reichweite zu erzielen und ein Programm anzubieten, das alle Generationen anspricht und möglichst eine große Mehrheit der Fernsehzuschauer. In den Hochzeiten der klassischen Fernsehunterhaltung waren das ja immer weit über 20 Millionen Zuschauer. Das sind Zahlen, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann als Fernsehmacher. Das gibt es ja nur noch bei Endspielen der Fußball-Weltmeisterschaft.

MUSIK Eurovisionsmelodie 

ERZÄHLERIN 

Bereits der Einstieg in die Shows ist ein erhabenes Ritual und wird für viele zum Gütesiegel: die Eurovisions-Fanfare. Dazu als Bild kreisrund das Wort „Eurovision“, eingebettet in einen Strahlenkranz. Im Zentrum die beteiligten Sender aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. 

OTON Klaudia Wick 1a

Es war ja eben eine sehr große Sehgemeinschaft. Also wir begrüßen auch die Zuschauerinnen und Zuschauer aus Österreich, der Schweiz und Benelux oder sowas. Ja, da kamen immer solche Sätze. Rosenthal sagte immer noch auch unsere Brüder und Schwestern aus der DDR. Das habe ich gar nicht verstanden als Kind aus Westdeutschland. 

ERZÄHLERIN 

Erinnert sich Klaudia Wick, die Leiterin der Abteilung Fernsehgeschichte in der Deutschen Kinemathek – einem Museum für Film und Fernsehen in Berlin.

OTON Klaudia Wick 1b 

Diese Eurovisions-Hymne ist ein Ritual wie vieles andere. Mir geht es heute noch so, wenn ich eben die Fanfare der Tagesschau höre, dann mache ich den Rücken gerade und denke, jetzt wird es wichtig. Und so war eben diese Eurovision: jetzt wird es spannend, jetzt wird es lustig, jetzt wird es unterhaltsam. Die hat es ja auch zu anderen Ereignissen gegeben, aber wir verbinden das sehr stark mit der Spielshow.

MUSIK Einer wird gewinnen – Erkennungsmelodie 

ERZÄHLERIN 

Keine andere Sendung verkörpert den Gedanken von Europa so sehr wie der erste wirklich große Klassiker unter den bundesdeutschen Spielshows: „Einer wird gewinnen“. Auch bekannt unter der Abkürzung EWG, eine Anspielung auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die Vorläuferin der Europäischen Union. Ab 1964 wird „Einer wird gewinnen“ in der ARD zum Straßenfeger am Samstagsabend. 

(kurz Musik wieder frei)

Nach der Titelmelodie kommt sein Auftritt: Showmaster Hans-Joachim Kulenkampff, Spitzname „Kuli“. Bei ihm treten Menschen aus verschiedenen europäischen Nationen gegeneinander an, alle sprechen gut deutsch. Vier Kandidatinnen und vier Kandidaten messen sich paarweise in Themen der bildenden Kunst, in Geografie und Musik. Das klassische bildungsbürgerliche Programm. Fragen allerdings noch ohne Multiple-Choice-Antworten, wie man es heute aus Formaten wie „Wer wird Millionär?“ kennt. 

ZITATOR (als Showmaster)

Wer ist der Schöpfer der modernen Olympischen Spiele? 

Antwort: Pierre de Coubertin. 

ERZÄHLERIN 

Gerne schlüpft Kuli - ein leidenschaftlicher Theater- und Film-Schauspieler - in diverse Rollen. Als Diogenes in der Tonne will er etwa wissen: 

ZITATOR 

Welche berühmte Person soll mir aus der Sonne gehen? 

Antwort: Alexander der Große. 

ERZÄHLERIN 

In der Show selbst ist er Kuli der Große. Kulenkampff wirkt als Zeremonienmeister, macht zweideutige, anzügliche Witze über das Kostüm und die Figur der Assistentin - heute undenkbar - und genießt das Rampenlicht. Lange Monologe und ausuferndes Überziehen der Sendezeit gehören zum EWG-Standard.

OTON Christian Stöffler 3 

Das hatte ja was fast schon was von James Bond. Dieses Sich-souverän-darüber-Hinwegsetzen über alle Schranken, über alle Begrenzungen. Die Sendezeit war ihm ja auch egal. Dieses Überziehen der Sendezeit war ein ganz wichtiges Signal, dass er sich jetzt über diese Vorschriften und die Erbsenzähler, die Bedenkenträger, die Nein-Sager hinwegsetzt. Und genau das will man ja sehen am Samstagabend. Wir haben alle immer nie Zeit. Unsere Arbeitswoche ist getaktet. Und da jemanden zu sehen, der sich über dieses Korsett hinwegsetzt, das war natürlich toll.

ERZÄHLERIN 

Sein Showtalent konnte Kulenkampff zuvor im Radio testen. Viele der frühen Fernsehshows der 1950er Jahre sind vom Hörfunk inspiriert. Damals laufen, gerade am Samstagabend, im Radio viele Unterhaltungssendungen, mit Orchester, diversen Bands, Gästen und Spielen. Das Konzept wird zunächst eins zu eins fürs Fernsehen übertragen und nach und nach ans neue Medium angepasst. Am 7. November 1953 feiert die erste Ausgabe einer Samstagabend-Show Premiere: „Wer gegen wen“. Angekündigt in Zeitungsanzeigen als:

ZITATOR (50er-Jahre-Werbesprech)

Preisraten zwischen den Mannschaften aus zwei deutschen Großstädten und dem Frankfurter Publikum. Quiz-Meister: Hans-Joachim Kulenkampff!

ERZÄHLERIN

Der teilt sich in den 1950er und 60er Jahren die Unterhaltungsarena mit weiteren Showmastern. Etwa Peter Frankenfeld, der ebenfalls zuvor im Radio moderiert hat, und bereits als junger Mann in Varietés und als Zauberkünstler aufgetreten war. Oder Hans Rosenthal, der beim Sender RIAS Berlin Rate- und Unterhaltungssendungen entwirft, ehe er im Fernsehen Erfolge feiert, mit „Gut gefragt ist halb gewonnen“, „Rate mal mit Rosenthal“ und vor allem - ab 1971 - „Dalli Dalli“.

MUSIK Dalli Dalli

ERZÄHLERIN 

Für Klaudia Wick ist es eine besondere Generation an Kreativen, die die deutsche Fernsehshow in ihren Ursprüngen formte. 

OTON Klaudia Wick 2

Hans Rosenthal war eigentlich Radiomoderator. Wim Thoelke kam vom Sport, Kulenkampff kam eigentlich vom Theater. Und was diese Generation so eint, ist, glaube ich, das Angebot zu sagen, wo immer wir herkommen, was immer wir machen - Hans Rosenthal war Jude und verfolgt, Kulenkampff war im Krieg gewesen - wir schieben das alles zur Seite und wir unterhalten euch. Und es ist auch nichts anderes wichtig, als dass ihr die richtige Antwort auf unsere Fragen habt. Und diese Antwort ist auch sozusagen unhinterfragt. Da gibt es ein richtig oder falsch. Das hatte natürlich viel mit der Vorgeschichte zu tun in Deutschland. Das war ein Teil des Vergessens und ein Teil des „Wir rücken wieder zusammen“. Und wenn jetzt eben die Antwort Kairo ist, dann ist die Antwort Kairo. Punkt. Fertig.

MUSIK Max Greger Vergissmeinnicht (Aus Medley: Vergissmeinnicht/Bonanza/Der goldene Schuss)

ERZÄHLERIN

In den Shows wird die heile Welt im Wirtschaftswunderland gepriesen. Unterhaltung zur puren Entspannung. Sich berieseln lassen, mitraten, mitlachen. Aufreger? Fehlanzeige, zunächst. 

(Musik hallt aus)

Doch mit den 1968er-Revolten, Studentenprotesten, Generationenkonflikten, mit freizügiger Mode und liberalen Erziehungsmethoden formiert sich ein Wandel in der Gesellschaft, der bald auf den Bildschirmen zu spüren ist. So werden auch Fernsehshows wild, sexy, experimentierfreudig. Allen voran „Wünsch dir was - Das große Familienspiel“. Zum ersten Mal moderiert eine Frau gleichberechtigt neben einem Mann: Vivi Bach und Dietmar Schönherr werden das erste Show-Ehepaar im deutschen Fernsehen.

MUSIK Vivi Bach und Dietmar Schönherr „Wünsch dir was“

„Wünsch dir was, my darling, wünsch dir was! Wünsche sind so wunderschön…“

OTON Klaudia Wick 3

Das ist vielleicht das größte Experiment, das sich das Fernsehen geleistet hat in diesem Spielshow-Bereich: „Wünsch dir was“ von 1969 bis 1972. Also schon der Zeitraum zeigt ungefähr den Zeitgeist. Es ist entwickelt worden mit André Heller, ein bekannter Name, den man da nennt. Aber es waren halt Psychologen und Sozialarbeiter, die hinter den Kulissen auch Spiele entwickelt haben. Es ging gar nicht so sehr darum, dass jemand etwas richtig oder falsch machte, sondern dass er gut diskutierte, dass es Übereinstimmungsspiele gab, dass eben zum Beispiel die Eltern wissen, was die Tochter sich wohl für Klamotten aussucht.

ERZÄHLERIN 

Bühne frei für einen der großen Skandale der deutschen Fernsehunterhaltung. November 1970. Die Töchter der Familie haben die Wahl aus fünf Outfits. Sie sollen sich für eins entscheiden, das sie persönlich gerne anziehen würden. Vater, Mutter und Bruder müssen dann erraten, welche Garderobe sie sich wohl ausgesucht hat. Moderator Dietmar Schönherr präsentiert auf einem Laufsteg Mannequins, die die Modelle vorführen, darunter eines mit schwarzer Hose und einer transparenten Bluse. Daraufhin betritt eine der Töchter, damals 17, die Bühne. Sie hat sich - wie von den Eltern und ihrem Bruder korrekt getippt - in der Tat für den Look mit dem durchsichtigen Oberteil entschieden, ohne BH. Mit wippendem Busen schreitet sie an den Kameras vorbei und stellt sich selbstbewusst und stolz zu ihren lächelnden Eltern. Doch über der Nation ziehen Gewitterwolken auf. Beim ZDF in Mainz stehen die Telefone nicht mehr still, es hagelt Beschwerden und Protestbriefe. Die Boulevardpresse überbietet sich mit Skandalartikeln, Kirchenverbände erregen sich über die – in ihren Augen - „Obszönität“. Es gibt Schmäh- und Drohbriefe, sogar Bombendrohungen. Und beste Einschaltquoten. 

nochmals kurz Ausschnitt MUSIK Vivi Bach und Dietmar Schönherr „Wünsch dir was“

„Wünsch dir was, my Darling, wünsch dir was!“

((ERZÄHLERIN

Jede Folge bietet Stoff für Diskussionen, in Zeitungen, auf Schulhöfen, in Büros. Die Show wird zu einer Art Versuchslabor, das Innovation und Provokation mischt, bei einem eigentlich simplen Konzept. Drei Familien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz treten im Wettstreit gegeneinander an und müssen sich bewähren: über dünnes Eis robben, im Theaterstück als Laien neben Profis auftreten, Phobien überwinden und Schlangen anfassen, aber auch: über Feminismus diskutieren.))

SOUND Wasserhahn aufdrehen

ERZÄHLERIN

Wünsch dir was gilt als eine der ersten interaktiven Spielshows. Am Ende darf das Publikum vor den TV-Geräten über den Sieg oder Niederlage der Familien abstimmen, mit aus heutiger Sicht höchst verschwenderischen Tests. 

OTON Klaudia Wick 4

Es gab zwei Tests. Es gab den Wassertest oder den Stromtest. Entweder man musste loslaufen und die Klospülung drücken und alle Wasserhähne anmachen, was ja aus heutiger Sicht genauso absurd ist. Oder eben den Stromverbrauch in die jeweils ausgewählten Regionen hochtreiben. 

ERZÄHLERIN

Das Fernsehpublikum einer bestimmten Region wird aufgerufen, ruckartig den Strom- oder Wasserverbrauch zu erhöhen, um damit einer Familie die Stimme zu geben. 

ZITATOR

Hat Ihnen die Leistung von Familie X besser gefallen hat als die von Familie Y? Dann schalten Sie, wenn der Gong ertönt, bitte bei Ihnen zu Hause für 20 Sekunden alle verfügbaren Lichtquellen ein!

SOUND Gong

ERZÄHLERIN

So werden alle Familien geprüft. Anschließend gibt ein Vertreter des zuständigen Elektrizitätswerks oder Wasserwerks über das Telefon durch, bei welcher Kandidatenfamilie der Verbrauch am meisten gestiegen ist.  

OTON Klaudia Wick 5

Es hat dann nochmal ein Revival gegeben in den 80er Jahren. Nochmal eine Spielshow „Wünsch dir was“. Da hat man es dann umgedreht und hat gesagt, bitte schalten Sie alles außer dem Fernseher aus. Wir wollen jetzt mal die Reduktion des Stroms messen. Da merken Sie wieder, wie viel auch Spielshows immer mit Zeitgeist zu tun haben. Es ist grundsätzlich immer die Idee gewesen, wie wir diese Panzerglasscheibe des Bildschirms weicher machen können. Wie können Leute in diese Show reinkommen und mitbestimmen? Das war eben ein ganz früher Versuch der Mitbestimmung. 

MUSIK Rudi Carrell-Lied „Showmaster ist mein Beruf“ 

„Showmaster ist mein Beruf, ein Beruf, ein Beruf, den der Teufel schuf. Ich frag Sie jetzt ganz banal, halten sie den für normal? …“

ERZÄHLERIN

Rudi Carrell, der Niederländer, der mit seiner unnachahmlichen Art das deutsche Showfernsehen geprägt hat. Er bringt Humor, sanften Witz und eine scheinbare Leichtigkeit in seine Auftritte. Dabei ist bei ihm jedes Wort, jede Geste bis in Detail getestet, geprobt und zugeschliffen. Carrells Ziel: alles soll beiläufig wirken, mühelos, wie aus dem Ärmel geschüttelt. Doch von ihm stammt auch der Satz: 

ZITATOR

Wenn man etwas aus dem Ärmel schütteln will, dann muss man vorher was reintun. 

ERZÄHLERIN

Wie kaum ein anderer hat Rudi Carrell zur Demokratisierung des Fernsehens beigetragen. In seinen Shows - wie etwa „Am laufenden Band“ - bietet er den unbekannten Kandidatinnen und Kandidaten die große Bühne. Sie sind nicht das Beiwerk zu den Stars, sondern werden selbst die Stars, müssen in Sketchen mitspielen, Gags zum Besten geben, und bekommen die Möglichkeit, sich in Gesprächen mit Carrell ausführlich vorzustellen. Imitatoren berühmter Sängerinnen und Sänger dürfen ihre Gesangskünste unter Beweis stellen.

frei MUSIK Rudi Carrell „Lass dich überraschen“

„Lass dich überraschen, schnell kann es geschehen, dass auch deine Wünsche in Erfüllung gehen. Lass dich überraschen (ausfaden)

ERZÄHLERIN

Und in der „Rudi-Carrell-Show - Lass dich überraschen“ bringt er Menschen zusammen, die sich seit Jahren oder Jahrzehnten aus den Augen verloren haben.

frei MUSIK Rudi Carrell „Lass dich überraschen“ 

„Lass dich überraschen, schnell kann es geschehen, dass auch deine Wünsche in Erfüllung gehen. Lass dich überraschen (ausfaden)

OTON Christian Stöffler 4

Jedes Land entwickelt seine eigene Fernsehkultur, eigene Fernsehtraditionen. Und einen vergleichbaren Kult um die Samstagabend-Show wie in Deutschland gibt es eigentlich nicht. Selbstverständlich gibt es Unterhaltungssendungen überall. An jedem Wochentag. In allen Ländern. Aber dieses Phänomen Samstagabend-Show gibt es tatsächlich nur in Deutschland.

ERZÄHLERIN 

Und zwar - wie der Dokumentarfilmer und TV-Experte Christian Stöffler betont - in West- und in Ostdeutschland, diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs. 

darunter einblenden: MUSIK „Die Blasmusik…" (Entrée Ein Kessel Buntes, instrumental) 

ERZÄHLERIN

Das TV-Ereignis in der DDR: „Ein Kessel Buntes“, live gesendet aus den großen Hallen der Republik, allen voran der Friedrichsstadtpalast in Ost-Berlin, das größte Revue-Theater Europas. Ein Mix aus Musik, Comedy, Oper, Tanz, Artistik und Talk und natürlich den Auftritten des Deutschen Fernsehballetts, die mit wechselnden Kostümen und aufwändigen Choreographien in jeder Show ihr Können zum Besten geben. Und als Bonus dürfen Stars aus dem Westen auftreten, etwa Udo Jürgens, Mireille Matthieu, oder ABBA. Bis 1977 wird „Ein Kessel Buntes“ von Kabarettisten präsentiert, die sich einen durchaus spöttischen, wenn auch milden Blick auf den Alltag und die Politik der DDR erlauben. Im streng kontrollierten Fernsehen höchst ungewöhnlich und daher enorm populär. 

OTON Christian Stöffler 5

Im „Kessel Buntes“ gab es Kabarett, Satire in homöopathischen Dosen. Ganz wenig, ganz gezielte kleine Spitzen durften dort platziert werden. Jeder Text, jedes Wort, das gesagt wurde in dieser Sendung war vorher natürlich abgenommen. Das war auch wichtig, als Signal: Wir erlauben auch Kritik. Es war sozusagen das Ventil, der Narr, der dem König auch mal den Spiegel vorhalten darf.

ERZÄHLERIN

1977 werden die Kabarettisten aus der Show gestrichen, auf Geheiß der Staatsführung. Die DDR-Unterhaltung - und damit auch „Ein Kessel Buntes“ - wird entschärft, lieblicher gemacht - oder wie es offiziell hieß: „modernisiert“. Im „Kessel“ führen fortan Stars aus Fernsehen, Film und Bühne durchs Programm und prägen jede Ausgabe mit ihrer Persönlichkeit, darunter Helga Hahnemann, Gunther Emmerlich und Wolfgang Lippert. Anders als im Westfernsehen gibt es im DDR-Fernsehen keine Showformate, in der Kandidaten direkt gegeneinander antreten, betont Klaudia Wick. 

OTON Klaudia Wick 6

Das Fernsehen der DDR war ja politisch gelenkt, es sollte auch mit edukativ sein. Und deswegen ist der Wettbewerb, der eben bei uns ein Wettbewerb um den Besten war, im Kapitalismus, war eben im Sozialismus der sogenannte „sozialistische Wettbewerb“, so hieß das auch. Und der musste eben auf jeden Fall gleichberechtigt sein. Und Glücksspiele waren eigentlich das allerbeste, weil es dann eben nicht darum geht, dass der eine Leistung erbracht hat und der andere nicht. Und da gibt es ein Format, „Glück muss man haben“, mit Wolfgang Lippert, wo dann ein Trabi verlost worden ist oder ähnliche Sachen, wo man schätzen musste und nicht wissen. 

MUSIK Auf los geht’s los – Titelmelodie von Jürgen Franke 

ERZÄHLERIN

Und die Shows im Westen? Die setzen vor allem in den 1980ern auf eine immer höhere Promi-Dichte. Etwa bei Joachim Fuchsberger in „Auf los geht’s los“, oder bei „Wetten dass…?“, wo gerade in der Moderations-Ära von Thomas Gottschalk ab 1987 die Couch vor Weltstars überquillt, auch wenn viele von ihnen oft während der Sendung wieder dringend zum Flieger müssen. Andere Formate setzen auf Schabernack und das rechte Maß an Schadenfreude, insbesondere „Verstehen Sie Spaß?“, in Deutschland durch das Schweizer Moderatoren-Ehepaar Kurt Felix und Paola einer der großen Publikumslieblinge. Oder die Shows werden - durch das Aufkommen des Privatfernsehens Mitte der 1980er Jahre - frecher, gemeiner, sarkastischer. Bestes Beispiel: „Vier gegen Willi“, mit Mike Krüger. Hier müssen sich wieder mal Familien abrackern, gegeneinander antreten und Punkte sammeln. Aber sie werden weniger auf Leistung als auf ihre Leidensfähigkeit getestet. So muss ein Vater in einem Film mitansehen, wie das Familienauto verschrottet wird, und im Studio entscheiden, welcher der vor ihm stehenden Metallklötze mal sein geliebtes Auto war. Und die Toten Hosen dürfen die Wohnung einer Kandidatenfamilie verwüsten, die per Live-Schalte im Studio zusieht. 

OTON Klaudia Wick 7

Das war so der Vorgriff einer gemeinen Unterhaltung, wie es dann im Privatfernsehen viel häufiger auch vorgekommen ist.

OTON Christian Stöffler 6

Die Privatsender wollten sich profilieren durch Shows, die frecher, freier, noch boshafter, noch hinterlistiger waren als die Shows der Öffentlich-Rechtlichen. Aber damit waren sie nicht Vorreiter, sondern haben eine gesellschaftliche Entwicklung weitergeführt, die ohnehin schon vorhanden war. Die Gesellschaft wurde freier, offener, vielleicht auch ein bisschen boshafter, zynischer, aber auf jeden Fall ironischer in den 80ern.

ERZÄHLERIN

Und heute? Ist nicht nur die Gesellschaft zersplitterter, auch die Mediennutzung bei Fernsehshows hat sich radikal gewandelt, in Zeiten von Handys, Streamingdiensten und Mediatheken. Die Topquoten von einst sind Geschichte. Der Zwang, um Punkt 20:15 Uhr der Eurovisions-Hymne zu lauschen und dann eine stundenlange Show zu sehen, um ja nichts zu verpassen: alles passé. Ein breites Angebot an Shows gibt es weiterhin, von Musikevents für Schlager-Fans bis hin zu Quizsendungen in allen Facetten. Die ganze Familie versammelt sich jenseits von Sport-Großereignissen nur noch selten gemeinschaftlich vor dem Fernseher, ((auch wenn es entsprechende, generationenübergreifende Formate immer noch gibt, so wie „Klein gegen Groß“.))
Das Lagerfeuer der Nation, ((so ist sich Christian Stöffler sicher,)) brennt weiterhin, nur eben auf kleinerer Flamme.

((OTON Christian Stöffler 7

Was es nicht mehr gibt, ist, dass man einfach ohne Weiteres eine Handvoll Weltstars auf dem Sofa versammeln kann, in einer Taktung drei, vier, fünf, sechs Mal im Jahr. Du kriegst bestimmte Leute nicht mehr so einfach mal, dass sie für eine Fernsehsendung um die halbe Welt fliegen. Weil Social Media natürlich diesen Leuten andere Möglichkeiten bietet, sich zu präsentieren oder bestimmte Produkte zu bewerben. Ich glaube aber trotzdem, dass es immer noch eine große Sehnsucht nach dem Lagerfeuer gibt. Nach dem einen Ereignis, das wirklich die ganze Nation vereint und über das man dann auch lange noch spricht, Inhalte, über die man wirklich lange noch diskutieren kann.))

MUSIK Rudi Carrell – Showmaster ist mein Beruf (Finale)

(Trommelwirbel)

Ich möcht immer singen, Sie zum Lachen bringen, Showmaster bleibt mein Beruf!


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