Crossdressing - Psychologie des Rollentauschs
Es gibt viele Begriffe für dieses Phänomen: "Autogynophilie", "Paraphilie" ... aber es geht auch etwas einfacher: "Transvestismus". Also: Mann oder Frau trägt die Kleidung des anderen Geschlechts. Pervers? Ein deutscher Arzt Anfang des 20. Jahrhunderts erkannte: da steckt mehr dahinter... Von Martin Trauner (BR 2024)
VON: Martin Trauner
Ausstrahlung am 9.4.2025
SHOWNOTES
Credits
Autor dieser Folge: Martin Trauner
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Ditte Ferrigan, Christian Schuler
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Dr. Rainer Herrn – Medizinhistoriker und Magnus Hirschfeld Gesellschaft
Kolja Nolte, alias „der Dominus“ – Berufsverband der Sexarbeiter
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLERIN
Na, die Musik kennt man doch und die Szene kennt man vielleicht auch irgendwie. Die stammt aus dem Kultfilmmusical „Rocky Horror Picture Show“. - Da steht also Dr. Frank N. Furter vor dem etwas naiven Brautpaar Janet und Brad …. und Dr. Frank N. Furter lüftet sein Geheimnis.
MUSIK hoch
Don't get strung out by the way that I look
Don't judge a book by its cover
ERZÄHLERIN
„Lasst Euch von meinem Aussehen nicht verunsichern … -
Beurteilt ein Buch nicht nach seinem Einband“, singt „Er“ oder „Sie“ und dann: reißt sich Dr. Frank N. Furter seinen Satin-Bademantel vom Leib …
MUSIK hoch
I'm just a sweet transvestite
From Transexual, Transylvania, ha ha
MUSIK
ERZÄHLERIN
„Er“ oder „Sie“ hat Korsett und Strapse an, „Er“ oder „Sie“ ist wild geschminkt. „Ich bin einfach nur ein süßer Transvestit, aus Transsexual, aus Transsilvanien…“ - Dr. Frank N. Furter bemüht den Begriff „Trans“ wirklich oft - sagt oder besser: singt davon. Offensichtlich ist er ein Mann in erotischer Frauenkleidung und in Stöckelschuhen.
MUSIK hoch und aus
ERZÄHLERIN
Bei Dr. Frank N. Furter weiß man wirklich nicht, was oder wer er ist. Gut: Er ist offensichtlich ein Mann, der sich weiblich gibt. Also ein „Transvestit“ Er ist ein Hedonist. Aber ist er schwul? Ist er hetero? Oder ist er irgendwas dazwischen? Ist er, wie man heute sagt: „Trans“? - Die Rocky Horror Picture Show brachte jedenfalls Mitte der 1970er Jahre ein Phänomen in die Kinos und damit in die Populärkultur, das man zwar irgendwie kannte, aber wo man nicht so genau wusste, was es damit auf sich hat und was man damit anfangen sollte: Damals nannte man das Phänomen noch „Transvestismus.“ -
MUSIKAKZENT
ZITATOR (Dr. Wegner)
Wo kommt das Wort Transvestit her und was bedeutet es?
ERZÄHLERIN
Fragt bereits in den 1930er Jahren ein Autor namens Dr. Wegner in einer Zeitschrift Namens „Das dritte Geschlecht“. Und er beantwortet seine Frage gleich selbst:
ZITATOR (Dr. Wegner)
Das Wort „Transvestit“ ist aus den lateinischen Worten „trans = entgegengesetzt und vestitus = gekleidet“ gebildet …
ERZÄHLERIN
Aber mal kurz nachgefragt, was hat es mit der Zeitung „Das dritte Geschlecht“ auf sich?
01 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Das ist überhaupt die allererste Transvestitenzeitschrift, die es je gegeben hat …
ERZÄHLERIN
Sagt Rainer Herrn. Medizinhistoriker. Er hat diese Zeitschrift im Reprint neu veröffentlicht ….
02 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Die große Überraschung: Die erste Auflage war in Windeseile vergriffen und wir haben jetzt gerade die zweite Auflage dieser Zeitschrift, weil: das Transthema heute ein sowohl politisches, als auch, bei der Transcomunity selbst eine solche Konjunktur und eine solche Politisierung erfahren hat, dass es ein großes Interesse an der Geschichte von „Trans“ gibt. Also von Transpersonen ...
MUSIKAKZENT
ERZÄHLERIN
Aber nochmals zurück zum Begriff der „Transvestiten“ in den 1930er Jahren. - Der Volksmund, so fährt Dr. Wenger in seinem Artikel in der Zeitung „Das dritte Geschlecht“ fort, bezeichnet solche Menschen in seiner Zeit, also in den 1930er Jahren, als „pervers“ Aber, so vermutet er, nur mangels besseren Wissens …
ZITATOR (Dr. Wenger)
Unter Transvestiten versteht man nun solche Personen, die den inneren Drang in sich fühlen, die Kleidung des anderen Geschlechts anzulegen, also Männer, die gerne Frauenkleider tragen und Frauen, die am liebsten Männerkleidung tragen …
MUSIKAKZENT
03 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Also wir haben eine große Vielfalt heute von „Sexuell diversity“, die mit diesen alten Begriffen eigentlich gar nicht mehr zu fassen sind. (…)
ERZÄHLERIN
Heutzutage sei „Transvestismus“ wohl kein passender Begriff mehr, meint der Medizinhistoriker Rainer Herrn …
04 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Diese ganzen Begriffsentwicklungen kommen eigentlich um 1910 …
ERZÄHLERIN
Anfang des 20. Jahrhunderts etabliert sich, wie soll es auch anders gewesen sein, in Berlin, die Sexualwissenschaft. Und die junge Sexualwissenschaft findet Begriffe für die ihrer Zeit als „abnormales Verhalten“ geltende sexuelle Praktiken, Begriffe wie etwa „Sadismus“, „Fetischismus“, „Homosexualität“, „Bisexualität“ oder eben auch die Bezeichnung „Transvestismus“
05 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Ja, das ist eigentlich ein Wortungetüm und ein Wort, das in die Welt gesetzt wurde und zugleich ganz harsche Kritik erfahren hat, nämlich von der Community, die es betroffen hat, nämlich von den Transpersonen, die gesagt haben: „Wir sind keine Transvestiten. Also sagen, es geht nicht um „Trans“, sondern es geht im Sinne von dem Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts, also nicht zum Verkleiden, sondern dass sie die Personen, die Kleidung, die ihrer Psyche entspricht, anziehen möchten. Also es ist kein Transvestismus und es gibt eine ganze Reihe dann von neuen Begriffsschöpfungen, die dafür gebraucht wurden. Traditionell wird in der englischsprachigen Literatur „Crossdressing“ verwendet.
ERZÄHLERIN
Was der Begriff „Transvestismus“ also nicht unterschieden hat, ob es da um heterosexuelle oder homosexuelle Personen geht, meist Männer. Oder geht es gar um jemanden, der seine Geschlechtsidentität anders fühlt oder gar nicht binär sieht … Seiner Zeit, so Rainer Herrn, galten alle Männer, die Frauenkleidung trugen, als Homosexuelle.
06 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Traditionell wurden Transpersonen eigentlich zu den Homosexuellen gezählt. Also es wurde im Grunde nicht unterschieden zwischen Homo und Trans …
MUSIKAKZENT (evtl. Mundell Lowe)
ZITATOR (Woody Allen)
Are transvestites homosexuals? –
ERZÄHLERIN
Fragt Woody Allen in einer Episode seines Films „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“. Wieder ein Film aus den 1970er Jahren. In sieben Episoden parodiert Woody Allen die Aufklärungswelle der 1960er Jahre. Und Woody Allen stellt Fragen. Etwa: Was passiert bei der Ejakulation? Was ist ein Perverser? Was ist Sodomie? Aber er fragt auch:
ZITATOR (Woody Allen)
Sind Transvestiten Homosexuelle?
ERZÄHLERIN
Die Geschichte dieser Episode ist schnell erzählt. Das ältere Ehepaar Sam und Tess sind bei Bekannten eingeladen. Sam schleicht sich heimlich in das Schlafzimmer der Gastgeberin und zieht ihre Kleider an. Als er in seinem roten Rock, seiner weißen Bluse und dem roten Hut droht, entdeckt zu werden, türmt er aus dem Fenster auf die Straße. Und mischt sich unter die Leute draußen, die ihn als „Lady“, als „Dame“ ansprechen. – Obwohl er einen Schnurrbart hat. Den verdeckt er geschickt mit einem Finger und behauptet, eine Verletzung an der Oberlippe zu haben … .
MUSIK aus
07 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Nun liefen also Frauen in Männerkleidung, Männer in Frauenkleidung immer Gefahr, durch das Auge der Öffentlichkeit, also des kleinen Mannes oder kleinen Frau, entdeckt zu werden, in der Öffentlichkeit, hopps genommen zu werden, angeklagt zu werden, zu Wiederholungstätern zu werden …
ERZÄHLERIN
Sagt Rainer Herrn. –
Doch Woody Allens Film spielt ja in den 1970er Jahren, in den Vereinigten Staaten, und da war man schon irgendwie aufgeschlossener als im Deutschland des Kaiserreichs. –
MUSIK
ERZÄHLERIN
Also: Tess, die Ehefrau, sie sieht ihren Mann, mit dem roten Hut, der Bluse und dem Röckchen auf der Straße und ist irritiert:
„Mein Gott! Sie ist mein Mann!“
MUSIK
ERZÄHLERIN
Doch die Ehefrau zeigt Verständnis. „Du hättest es mir sagen sollen. Ich hätte es verstanden“ – Und sie schmunzelt:
… „Du hättest ihre Gesichter sehen sollen“. –
MUSIK aus
ERZÄHLERIN
Was man nicht unterschätzen sollte, sei es die „Rocky Horror Picture Show“ oder Woody Allens „Was sie über Sex wissen wollten“, jeder dieser Filme hat auf seine Art und Weise halt um Verständnis geworben für das „Crossdressing“. Oder wie man eben früher sagte: für den „Transvestismus“…
08 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Was man auch vergisst in der Geschichte … die Hauptfraktion der frühen Transvestiten sind heterosexuelle Männer gewesen …
ERZÄHLERIN
Sagt Rainer Herrn. – Sogenannte ‚Transvestiten‘ waren also heterosexuelle Männer, oft verheiratet, meist Kinder, bürgerliches Leben. Sie trugen gerne Frauenkleider. Das meist heimlich. - Doch zu Anfang des 20. Jahrhunderts war die Situation für Transvestiten nicht so amüsant wie bei Woody Allen in den 1970er Jahren. Crossdresser galten – wie gesagt - als Homosexuelle …
09 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Sie müssen wissen, Homosexualität ist ein Stigma gewesen, wenn das ruchbar geworden ist, war das der soziale Tod. Erpressung war an der Tagesordnung und Suizide waren keine Seltenheit. Und deshalb die starke Abwehrbewegung von Crossdressern, um nicht als homosexuell zu gelten …
ERZÄHLERIN
Alle von der Norm der gesellschaftlichen Konventionen abweichenden Personen wurden von Seiten des Staates kriminalisiert …
10 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Und nun waren die Homo- und Transpersonen irgendwie aneinander gekettet. Aber Transpersonen fühlten sich missverstanden, dass ihnen ein homosexuelles oder homoerotisches Begehren zugeschrieben wurde. Und die wendeten sich an die junge Sexualwissenschaft, unter anderem an Magnus Hirschfeld und sagten unter anderem, wir sind aber gar nicht homosexuell …
ERZÄHLERIN
Magnus Hirschfeld, von ihm wird gleich noch die Rede sein, gründet 1919 in Berlin das erste Institut für Sexualwissenschaft.
11 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Aber auch in der homosexuellen Bewegung gab es sehr viele, die sich als echte Männer begriffen haben, als Supermänner, als hyperviril, als so genannte Maskulinisten. Und die haben gesagt, wir haben gar nichts am Hut mit diesen Crossdressern, die Frauenkleider tragen, das ist für uns etwas ganz Abscheuliches.
MUSIKAKZENT
ERZÄHLERIN
Der Mediziner Magnus Hirschfeld schreibt 1910 eine wissenschaftliche Arbeit. Titel: „Die Transvestiten. - Eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb.“ Eine Monografie …
12 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
… mit 17 Fallbeschreibungen, wie es damals hieß. 16 Männer und eine Frau. Das sind sozusagen kleine autobiografische Vignetten, die quasi exemplarisch zeigen, wie das Leben von Transpersonen verläuft – mit der typischen Kindheit, wo der Wusch nach dem Tragen der Kleidung des – Gänsefüsschen – anderen Geschlechts aufkam (…)
ERZÄHLERIN
Hirschfelds Buch ist komplex. Ganz im Sinne der Zeit versucht er auf fast 600 Seiten, den „Transvestismus“ zu katalogisieren, zu systematisieren aber auch zu psychologisieren … Also unterscheidet er etwa:
ZITATOR (Magnus Hirschfeld)
- Zeitpunkt des ersten Auftretens der Verkleidung
- die sonstigen Lebensgewohnheiten der Transvestiten
- die Ehefrauen der Transvestiten
- die Kleidung als Ausdrucksform seelischer Zustände
ERZÄHLERIN
Und Magnus Hirschfeld begibt sich auch in die Geschichte. Er untersucht den Transvestismus von der …
ZITATOR (Magnus Hirschfeld)
… Geschlechtsverkleidung bei den Naturvölkern …
ERZÄHLERIN
… Bis zur …
ZITATOR (Magnus Hirschfeld)
Geschlechtsverkleidung auf der Bühne
ERZÄHLERIN
Rainer Herrn ergänzt:
013 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Ein wichtiges Medium, wo, sagen wir, „trans“ gelebt wurde, ist natürlich auch die Bühne gewesen … Wir haben eine ganze Reihe von Theatern (…) wo die Frauenrollen von Männern gespielt wurden. Also das war auch ein Austragungsort von diesem Begehren …
ERZÄHLERIN
Nur, und das ist wichtig, auf Bühnen nennt man diesen, wie Magnus Hirschfeld es genannt hat, „Verleidungstrieb“ anders … Er heißt „Travestie.“ – In der Zeit von Shakespeare etwa, also im späten 17. Jahrhundert schlüpften Männer in Frauenkostüme, um weibliche Rollen darzustellen. Aber im 19. Jahrhundert, etwa in der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß gibt es eine so genannte Hosenrolle. Hier stellt eine Frau, eine Mezzosopranistin, den Prinz Orlofsky dar ….
14 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Das, was wir heute als Travestie bezeichnen. Das ist aber schon im ernsten Sinne von dem, was Transvestismus im traditionellen Sinne bedeutet, wo also ein psychischer Wunsch besteht, ich will jetzt das Wort „Trieb“ nicht gebrauchen, das ist wirklich ein altmodischer Begriff, also wo ein inneres Bedürfnis entsteht, diese Kleidung zu tragen, das ist davon zu unterscheiden. Also: Travestie und dieser Wusch des Crossdressings, das sind zwei unterschiedliche Ebenen.
MUSIKAKZENT
ERZÄHLERIN
Zurück zu Magnus Hirschfeld. Ihn interessierte also, warum trägt „man“ oder „frau“ die Kleidung des anderen Geschlechts? Aus sexuellen Gründen? Um sich wohlzufühlen? - Interessant sind seine Fallbeschreibungen der Menschen, die sich „crossdressen“. Magnus Hirschfeld berichtet zum Beispiel von einem gewissen „Herrn E.“, der ihm seine Aufzeichnungen überlasen hat …
MUSIKAKZENT
ZITATOR (Magnus Hirschfeld)
Herr E., im Kunstgewerbe tätig, ca. 40 Jahre alt, stammt von gesunden Eltern. Abweichende Anlagen oder Degenerationszeichen sind in der Verwandtschaft nicht nachzuweisen. Die körperliche Kindheitsentwicklung verlief normal.
ERZÄHLERIN
Mädchen gegenüber sei er schon in frühester Jugend an „höchst schüchtern“ gewesen. Zu Hause sei er streng erzogen worden. Und jetzt?
ZITATOR (Magnus Hirschfeld)
Status praesens: Breite der Hüften etwas geringer als die der Schultern. Körperlinien rundlich, leichter Panniculus adiposus. Oberarme und Oberschenkel mehr gerundet als abgeflacht. Füsse von mittlerer Größe, Hände von der Arbeit etwas mitgenommen.
ERZÄHLERIN
Ganz nüchtern beschreibt Hirschfeld die Physiognomie vom Herrn E. Aber wann begann sein Drang, wie es Hirschfeld nennt, nach „Geschlechtsverkleidung“?
ZITATOR (Magnus Hirschfeld)
Vita sexualis: Im Alter von vier Jahren versuchte er zuerst, das Kleid seiner Schwester anzuziehen ...
ERZÄHLERIN
Im Karneval habe er sich gerne als Frau verkleidet, opferte dafür den Schnurrbart. Und bedauerte es, die Frauenkleider wieder ablegen zu müssen. Freilich:
ZITATOR (Magnus Hirschfeld)
Lange Strümpfe und Korsett trägt er fast immer unter seiner Männerkleidung. ln dieser raucht er gern, was er im Frauenkostüm nie tut. - Der Trieb war immer auf den „coitus cum femina“ gerichtet; erste Betätigung Anfang der Zwanziger. „In actu“ ist er gern „succubus“. Triebstärke: durchschnittlich zwei Ejakulationen in der Woche. Von Homosexualität ist keine Spur vorhanden.
MUSIKAKZENT
ERZÄHLERIN
Ein bisschen fühlt man sich an Woody Allens Film „Was sie immer über Sex wissen wollten …“ erinnert … Ein Mann, der seinen Schnurrbart verbirgt, um als Frau durchzugehen. Aber bleiben wir ernst. Magnus Hirschfeld hat für die Geschichte der Transmenschen gewirkt … Und er hat viele Biografien gesammelt, die eine schwierige Situation im Leben beschreiben.
15 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
So haben wir eine ganz große Melange unterschiedlicher Transbiografien eigentlich, also punktueller, passaschärer oder permanenter „Transvestismus“, um dieses Wortungetüm noch einmal zu gebrauchen – also: gibt es ganz unterschiedliche Formen – und genauso erleben wir es heute, wie sich Transpersonen empfinden.
MUSIK („Rocky Horror“)
It's beyond me
Help me, mommy
I'll be good, you'll see
Take this dream away
ERZÄHLERIN
Zurück zum Film Rocky Horror Picture Show, zurück zum Film, wo der Transvestismus oder das Crossdressing wohl nur als Spiel funktioniert. … Der biedere Ehemann „Brad“ steht plötzlich, verkleidet als Frau, also genauer gesagt, eingekleidet mit Strapsen, Korsett und High Heels auf der Bühne. Er wurde von Dr Frank. N. Furter in einen Transvestiten verwandelt. Und Brad erlebt plötzlich neue Gefühle, er empfindet sich als „sexy“ …
MUSIK hoch
What's this, let's see
I feel sexy
MUSIK (Rocky Horror) aus
MUSIKAKZENT
ERZÄHLERIN
Und jetzt mal kurz innehalten, Sexualität ist etwas Besonderes: Natürlich gibt es auch heutzutage noch den „Transvestismus“, so hat man das früher genannt, oder wie es jetzt heißt, das Crossdressing“, oder die „Feminisierung“, wie es Kolja Nolte nennt, es gibt das Ganze einfach heute auch als sexuelles Spiel … Meist wird das Spiel nicht daheim mit der Ehefrau ausgelebt, sondern vielleicht bei Sexarbeiter*innnen. Wie eben bei Kolja Nolte vom „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“. In der Szene nennt er sich „der Dominus“:
16 ZUSPIELUNG (Kolja Nolte alias „der Dominus“)
Also prinzipiell liegt der Lustgewinn ein Stück weit in der Ächtung. Man muss sich das so vorstellen, als Mann, ist es immer noch nicht saloonfähig, Frauenkleider anzuziehen.
ERZÄHLERIN
Der Medizinhistoriker Rainer Herrn ergänzt, dass die Ächtung des Kleidertauschs ja wirklich schon sehr früh begann:
17 ZUSPIELUNG (Rainer Herrn)
Nun müssen sie wissen, dass die Geschlechtsordnung in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit eine unglaublich strenge gewesen ist. Wenn eine Frau auf der Straße Hosen trug, und als Frau erkannt wurde, wurde sie sofort „Hopps“ genommen von der Polizei, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und groben Unfugs. Paragraf 184 und 360 Strafgesetzbuchs. Das gleiche galt für Crossdresser, für Männer in Frauenkleidung.
ERZÄHLERIN
Zwar wird heute wohl keiner mehr „Hopps“ genommen, wenn „Er“ oder „Sie“ als Crossdresser auftritt, aber eine gesellschaftliche Etikette besteht trotzdem noch:
18 ZUSPIELUNG (Kolja Nolte alias „der Dominus“)
Und im Übrigen ist es auf der anderen Seite nicht so, wenn man die weibliche Emanzipation anschaut, hat sich da eine ganze Menge getan, also Frauen können Hosen und anderes tragen, während das männliche Geschlecht das immer noch nicht darf …. Also ich erinnere mal an die Skandale, die jetzt wüten, dass die Männer sich jetzt die Nägel lackieren. Ich finde das alles ganz großartig. Und ich finde auch, dass sich die Männer da emanzipieren dürfen, um da auch mehr Rechte zu bekommen …
ERZÄHLERIN
Sagt Kolja Nolte alias der „Dominus“, vom „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“. Aber, natürlich, in dem immer noch immer tabuisierten Verhalten liegt auch ein Lustgewinn. „Ich darf das halt nicht …“
19 ZUSPIELUNG (Kolja Nolte alias „der Dominus“)
Und in dem Sinne liegt der Lustgewinn da dran, dass wenn ein Mann halt Frauenkleider anzieht, sich da natürlich ein Stück weit erniedrigt fühlt. Und diese Erniedrigung kann natürlich damit gefestigt werden, dass die Rollen zum Beispiel getauscht werden, dass der meist weibliche dominante Part dann in die Penetration geht …
ERZÄHLERIN
Bei diesem Spiel gibt es sehr oft stereotype Rollenmodelle:
20 ZUSPIELUNG (Kolja Nolte alias „der Dominus“)
Wir hätten da die „Sissy“, das ist so ein bisschen der „Funnytyp“, das wissen die Menschen auch ein Stück weit … Das ist ja, wenn man in höherem Alter, jetzt will ich ein Frauenkostüm, dann sitzt das am aller wenigsten … Und das ist aber in dem Augenblick gar nicht so wichtig, es geht einfach darum in eine gewisse Rolle reinzuschlüpfen …
ERZÄHLERIN
Und da gibt es die „Zofe“. Ein Mann, der sich als „Maid“, als „Magd“ verkleiden lässt. - Aber es gibt auch den Fetischisten. Eigentlich ein Begriff aus dem frühen 20. Jahrhundert-
21 ZUSPIELUNG (Kolja Nolte alias „der Dominus“)
Das ist jemand, der also wirklich über die Kleidung einfach einen Lustgewinn erfährt, ohne dass da eine psychische Komponente dabei ist. Ich glaube eines der größten Beispiele ist das Thema Strapse tragen, Nylons auf der Haut fühlen, da ist das Material eine Entscheidung und das weibliche Verhalten ist gar nicht so das, wo der Reiz daran liegt …
MUSIKAKZENT (evtl. Rocky Horror Picture Show“)
ERZÄHLERIN
Zurück zu Magnus Hirschfeld, dem Sexualwissenschaftler aus dem frühen 20. Jahrhundert. Er erkannte, seine „Transvestiten“ haben auch ein glückliches Leben …
ZITATOR (Magnus Hirschfeld)
Nicht minder beredt berichtet einer, wie ihn seit seinem 15. Jahre ein Verlangen nach Frauenkleidern beherrschte, das „wie Hunger und Durst Befriedigung heischte“. Endlich mit 24 Jahren, als er krankheitshalber vom Lehramt beurlaubt im elterlichen Hause weilte, bietet sich die ersehnte Gelegenheit. Er zieht sich ein vollständiges Ballkostüm seiner Schwester an. „Ein nie gekanntes Gefühl des Wohlbehagens durchrieselte mich“, „das Wunderbarste war, dass ich mich jetzt rasch erholte, während ich vorher sechs Wochen lang vergeblich ein Sanatorium besucht hatte.“
ERZÄHLERIN:
Und der Dominus, also Kolja Nolte meint:
22 ZUSPIELUNG (Kolja Nolte alias „der Dominus“)
Ich finde, „Sexualität“ ist ein wunderschönes Beispiel, um sich selber zu sortieren in seinem Leben. Und da gibt es viele Möglichkeiten: Andere Menschen reden sehr viel, der nächste liest sehr viel, ja, oder treibt einfach Sport und kann sich darüber sehr gut sortieren … und andere Menschen schaffen das über Sexualität … Sexualität kann ein Weg sein, um Dinge klar zu ziehen. Um vielleicht die eine oder andere Lebenssituation besser zu meistern oder ein schönes Ventil zu haben für aufkeimende Gefühle …