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Lüftlmalerei - Alpine Fassadenkunst

Wie kleine Schlösser wirken viele Dorf- und Kleinstadt-Häuser an und in den Alpen. Auf den zweiten Blick wird klar: Alles ist "nur" aufgemalt. Es sind Lüftlmalereien, typisch für die Gegend mindestens seit der Barockzeit. Von Bettina Weiz.

Lüftlmalerei - Alpine Fassadenkunst | Bild: Bettina Weiz
23 Min. | 7.4.2025

VON: Bettina Weiz

Ausstrahlung am 7.4.2025

SHOWNOTES

Credits
Autorin dieser Folge: Bettina Weiz
Regie: Irene Schuck
Es sprach: Katja Amberger
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Susanne Poelchau

Im Interview:
Ludwig Felber, Auftraggeber, Lüftlmalerei
Bernhard Ludwig Rieger, Lüftlmaler
Helga Stuckenberger, Gästeführerin
Prof. Dr. Andrea Gottdang, Kunsthistorikerin

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ERZÄHLERIN:

Es ist ein stattliches Haus, das sich Ludwig Felber mit seiner Familie hat bauen lassen. Solide aufgemauert. Die Balkone und das Dach fachmännisch gezimmert. Der Blick geht auf das Zugspitz-Massiv.

1. Zsp. /Ludwig FELBER

Ja, wir sind stolz darauf und freuen uns jeden Tag, dass man da wohnen können und dürfen.

ERZÄHLERIN:

Doch kaum ist die Familie eingezogen, da geschieht es:

2. Zsp. /FELBER

Dann fahrt man in die Arbeit, fahrt wieder hoam und schaut das Haus von verschiedenen Perspektiven an, da sagt man: „irgendwas geht ab. Es ist - wie mir sagen – z’nackert.“ 

ERZÄHLERIN:

Zu nackt. Die Wände zwischen den moosgrünen Fensterläden: weiß.

Musik 2

"Baletto Detto L'Imperiale" - Ausführender: Christian Zimmermann - Komponist: Pietro Foscarini - Album: Lauten- und Gitarrenmusik aus dem Barock - Länge: 0'35

ERZÄHLERIN:

Dagegen prangen nebenan, am Pfarrhof, unter der Jahreszahl „1748“ der Herrgott als strahlendes Auge und darunter wiederum der Tod als Sensenmann. Dazu ist ein üppiges Barockportal aufgemalt. Am Rathaus gegenüber hebt Formputz die Gebäudekanten hervor. Am Haus vis à vis zieren üppige Akanthusranken die Fenster. Auf der Nachbar-Fassade führt ein kräftiger Mann ein Pferd. Alles: Lüftlmalerei.

3. Zsp. /FELBER

Dann denkt man nach und grübelt, dann hat man ja Gespräche in der Familie und dann sagt mer – „wollen wir Farbe ans Haus ranbringen?“ Und dann kommt man über an Fernsehsendung, Lüftlmalerei, hammer an Rieger Bernhard gesehen. Da sagen wir, „Mensch, den Bernhard kenne ich doch, den rufen mer doch an.“

Musik 3

"Sonnenaufgang am Golmer Joch" - Album: Volksmusik aus Bayern - Länge: 1'00

ERZÄHLERIN:

Bernhard Ludwig Rieger wohnt im Nachbartal und kommt mit seinem Kleinbus angefahren. Er hat eine Haartolle und einen Bart wie König Ludwig II, der „Kini“. Den verkörpert er gerne auch mal auf Bühnen. Wenn er nicht malt oder sich mit Lüftlmalerei beschäftigt.

4. Zsp. /Bernhard Ludwig RIEGER

Die Lüftlmalerei ist eine Art, Fassaden oder Gebäude zu verschönern, die eine Region prägt und die es so sonst nirgends auf der Welt eigentlich gibt. Nur hier. In der Region.

ERZÄHLERIN:

Mit „Region“ meint Bernhard Ludwig Rieger die zwischen dem Berchtesgadener Land, dem Arlberg und Südtirol, vor allem aber die eigene. Da, wo früher mal eine Handelsroute zwischen Augsburg und Italien durchging.

5. Zsp. /RIEGER

Wir sind hier Meltingpot, Oberammergau, Mittenwald, Partenkirchen, da ist wirklich die aussagekräftigste Lüftlmalerei, weil es tatsächlich auf dieser Handelsstraße beruht.

ERZÄHLERIN:

Oberammergau ist 15 Kilometer vom Haus der Familie Felber in Farchant entfernt, dort sind noch viel mehr Häuser mit Lüftlmalerei verziert. Die Hauptstraße ist ein begehbarer Bilderbogen. In Oberammergau wohnte im 18. Jahrhundert auch einer der bedeutendsten Lüftlmaler, die es je gab: Franz Seraph Zwinck. Manche meinen sogar, dass auf ihn der Begriff „Lüftlmalerei“ zurückgehe, erklärt die Gästeführerin Helga Stuckenberger.

6. Zsp. /Helga STUCKENBERGER

Es heißt ja auch, dass der Franz Seraph Zwinck den Hausnamen „Lüftl“ hatte, da gab es eine Geschichte, es hieß nämlich also „Lüftl“, weil es bei ihm beim Haus recht schlecht gerochen hat, weil halt da a Misthaufen neben dem Haus war. 

ERZÄHLERIN:

Tatsächlich glaubt Helga Stuckenberger diese verbreitete Geschichte selbst nicht – wenn sie auch ein Licht auf den Meister und sein Umfeld wirft. 

7. Zsp. /STUCKENBERGER

Nachdem er nicht der einzige war, der einen Misthaufen neben dem Haus hatte, denke ich, ist es nicht richtig, sondern das kommt tatsächlich von dieser an der frischen Luft arbeitenden Tätigkeit. lacht

ERZÄHLERIN:

„Im Freien“, „an der frischen Luft“ heißt auf italienisch „al fresco“. Zugleich nennt sich die Maltechnik, die Franz Seraph Zwinck und andere Lüftlmaler seiner Zeit anwandten, „Fresko“, ohne „al“. Das bedeutet auf deutsch „frisch“. Die Farbe wird dabei auf den frischen, also noch feuchten Putz, gemalt. Wenn sie gemeinsam mit ihm trocknet – besonders gut, wenn ein Lüftchen weht – wird sie gewissermaßen eins mit der Wand und kann Jahrhunderte halten.

8. Zsp. /STUCKENBERGER

Ich denke, in Oberammergau oder überhaupt in der Gegend im achtzehnten Jahrhundert hat man nicht unbedingt Italienisch gesprochen und hat dann die Freskomalerei, weil es kommt ja aus Italien, diese Mode, als solche bezeichnet, sondern kam sicher sehr schnell diese Bezeichnung auf, „eh, san sie wieder an der frischen Luft, die Lüftl-Maler“. Lacht

Musik 4

"Geht leicht (a)" - Komponist und Ausführender: Thomas Binegger - Album: A Hund auf der Geign - Länge: 0'44

ERZÄHLERIN:

Dass die Herkunft des Wortes „Lüftlmalerei“ wissenschaftlich nicht geklärt ist – für Ludwig Felber und den Lüftlmaler Bernhard Ludwig Rieger spielt das keine Rolle. Sie wollten Farbe an das stattliche, neue Haus der Felbers bringen.

9. Zsp. /FELBER

Der Eingangsbereich, haben wir gesagt, muss hervorgehoben werden. Das muss a bissl was Besonderes werden. Das man aa siehcht, da ist der Eingang.

ERZÄHLERIN:

Die schwere Haustür aus Eichenholz liegt in einer Nische. Aus der Ferne betrachtet geht sie in der Fensterfront fast unter. Doch dabei, ein bisschen Zierat um die Haustür herum zu pinseln, will es der Lüftlmaler nicht belassen.

10. Zsp. /FELBER

Sagt er, ja gut, das kann man realisieren, aber da fehlt ja mehr. An dem Haus.

ERZÄHLERIN:

Denn Bernhard Ludwig Rieger weist Ludwig Felber darauf hin, wo sein Haus steht: an erster Adresse in Farchant, zwischen Rathaus, Pfarrhof, Feuerwehr und Kirche, direkt am Dorfplatz mit seinen schattigen Sitzbänken unter alten Kastanien, gepflegten Blumenrabatten, dem Dorfbrunnen, Mitteilungstafeln der Vereine und der örtlichen E-Auto-Ladestation. 

11. Zsp. /RIEGER

Du hast in der Lage nicht nur die Aufgabe, für dich zu bauen, sondern du hast auch die Verantwortung. Oder Verpflichtung gegenüber einem Dorf.

ERZÄHLERIN:

Er rät Ludwig Felber zu mehr: Zu Farbe auch rund um die Fenster. Zu einer Fassadengliederung.

12. Zsp. /FELBER

Da haben wir natürlich solche Augen kriegt, weil er von was gesprochen hat, was wir uns ja nicht ihm im Vorfeld Gedanken gemacht haben. Da hammer gesagt „Mensch, ja, das war ja was!“. Und so ist es entstanden, dass der Bernhard gesagt hat, er macht sich Gedanken, und er kommt dann mit einem Vorschlag vorbei.

ERZÄHLERIN:

Bernhard Ludwig Rieger macht es wie Generationen von Lüftlmalern vor ihm: er lässt sich von Beispielen aus seiner Umgebung inspirieren.

13. Zsp. /RIEGER

Fassadengliederung heißt für mich, dass da, wo eigentlich eine Decke ist, wo früher vielleicht die Balkenkonstruktion vorgeschaut hat, wo man aber auch aus der Städtearchitektur, wie es in Augsburg war, eben große dreistöckige Gebäude gegliedert hat, durch Linierung und durch Absetzungen, dass man a große Wandfläche, a weiße, gliedert, um optisch a Struktur zu schaffen.

Musik 5

"Venezia Renaissance Canzon II" - Künstler: Capriccio Stravagante Renaissance Orchestra & Skip Sempé - Album: Venezia stravagantissima (Alpha Collection) - Komponist: Giovanni Gabrieli - Länge: 1'20

ERZÄHLERIN:

Augsburg: Ob sich auch der Lüftlmaler Franz Seraph Zwinck dort inspirieren ließ? Es ist nicht bekannt – aber möglich. Die Kunsthistorikerin Andrea Gottdang nennt die Stadt „ein Zentrum der Fassadenmalerei“.

14. Zsp. /Andrea Gottdang

Augsburg hat eine sehr lange Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreicht und die im sechzehnten und achtzehnten Jahrhundert wirklich sehr stark gewesen ist.

ERZÄHLERIN:

Auch dort profitierte man von großen Handelsrouten und von Migration. 

14a. Zsp. /GOTTDANG

Die Augsburger waren inspiriert von Italien, oder es kamen tatsächlich auch Italiener über die Alpen nach Augsburg, um hier Fassadenmalereien auszuführen. Licinio zum Beispiel am Rehlinger-Haus in Augsburg. Das ist dann im sechzehnten Jahrhundert. Den hat man sicherlich auch wegen seiner italienischen Provenienz angeheuert. Wenn man sich einen Italiener leisten konnte, dann war das auch schon was.

ERZÄHLERIN:

Giulio Licinio aus Venedig bemalte um 1560 Häuser des Kaufmanns Hieronymus Rehlinger komplett mit Fabelwesen, üppigen Pflanzen, Vasen, dazu muskulösen Männern und schönen Frauen aus der Mythologie der Antike. Aber, betont die Kunsthistorikerin Andrea Gottdang von der Universität Augsburg:

15. Zsp. /GOTTDANG

Es ist auch nicht so, dass man hier in Augsburg gesessen hat und gesagt hat „also nur die Italiener kommen in Frage“, wir haben hier auch einen Breu zum Beispiel, der das Fuggerhaus bemalt hat, oder dann im achtzehnten Jahrhundert hat Augsburg eine eigene Akademie, und Künstler wie Bergmüller oder Holzer, die die Fassaden in der Maximilianstraße wirklich prachtvoll ausgestalten.

ERZÄHLERIN:

Wind, Wetter und Weltkriege haben viel von der einstigen Farbenpracht an Augsburgs Edelmeile verschwinden lassen. Aber alte Aufnahmen zeigen, dass zum Beispiel die Fuggerhäuser einst vor allem in den Obergeschossen über und über bebildert waren. Das alles nennt Andrea Gottdang „Fassadenmalerei“ – und unterscheidet es genau von „Lüftlmalerei“.

16. Zsp. /Gottdang

Da muss man auch auf die Auftraggeber schauen. Wer gibt das eine, wer gibt das andere in Auftrag, diese großen historistischen Programme, wie man sie dann auch in Augsburg am Fuggerhaus hat. Das sind entweder Auftragswerke der Stadt oder reicher Bürger der Stadt, die sich das leisten können, und die Lüftlmalerei haben wir dann eher im ländlichen Raum auch oft nur kleine Motive oder einer eine einzelne Madonna auf einer Wolke oder wie auch immer, ein Heiliger, ein Hausheiliger, und das konnten sich dann auch natürlich begüterte, aber ja, die kleineren Bürger vielleicht leisten.

ERZÄHLERIN:

Hinter den Fuggerhäusern stand Großkapital. Jakob Fugger, der sie in der Renaissance errichten ließ, war Bankier, Großhändler und Bergbauunternehmer. Er finanzierte den Kaiser und den Papst. Man nannte ihn „der Reiche“. Er war einer der mächtigsten Menschen, die es je gab.

16a. Zsp. /GOTTDANG

Es geht darum zu repräsentieren, denn wer lässt sich Fassadenmalerei an sein Haus malen? Das sind die Leute, die sich das leisten können. Und wenn man dann noch einen Künstler wie Bergmüller oder Holzer in Augsburg engagiert, das ist also die alleroberste Maler Liga, wenn sie so mögen, dann dokumentiert man natürlich auch nach außen, dass man es zu etwas gebracht hat.

Musik 6

"Geht leicht (a)" - Komponist und Ausführender: Thomas Binegger - Album: A Hund auf der Geign - Länge: 0'32

ERZÄHLERIN:

Ludwig Felber, der Mann mit dem stattlichen Anwesen mit Zugspitzblick, der mit dem Gedanken spielt, Farbe ans Haus zu bringen und der dafür einen Lüftlmaler angerufen hat – er stammt aus einer alteingesessenen Familie aus Farchant. Ein Schwarzweißfoto seiner Eltern hängt im Hausflur. Darauf scheren sie ein Schaf. Sie hatten eine Landwirtschaft. Doch die alleine reichte nicht. Im Sommer räumten sie ihr Ehebett und vermieteten das Zimmer und ein paar andere an Urlauber, erinnert sich Ludwig Felber. Er selbst hat ein Handwerk gelernt.

17. Zsp. /FELBER

Weil wir fleißig waren, 25 Jahre als Installateur, Landwirtschaft immer im Nebenerwerb gmacht haben, dann ist die Musik dazukommen, ich hab 1976 mit der steirischen Ziehharmonika angfangt. 

ERZÄHLERIN:

Auch mit Musik-Auftritten hat er Geld verdient, vor allem aber mit seiner Firma:

17a. Zsp. /FELBER

Dann hat man noch a Firma aufbaut, in Deutschland haben wir eine Marke geprägt, sind in sehr vielen großen namhaften Projekten beteiligt.

Erzählerin:

Weit über tausend Tonnen Stahl hat seine Firma zuletzt im Jahr verarbeitet und die von ihr entwickelte Technik kommt rund um den Globus zum Einsatz: In der Elbphilharmonie steckt sie ebenso wie in einer Forschungsstation in der Antarktis. Denn, so sagt Ludwig Felber mit Blick auf sein stattliches Haus, dessen Wohnzimmer allein so groß ist, dass eine ganze Blaskapelle darin Platz hätte:

18. Zsp. /FELBER

Um das Ganze aber zu realisieren, braucht man natürlich einen background, das heißt sehr viel Geld.

ERZÄHLERIN:

...zumal wenn die Malerei mehr Fläche umfassen soll als nur die Haustürnische. Und genau dazu entscheidet sich die Familie Felber.

19. Zsp. /FELBER

Und dann hat man das durchgesprochen, und dann ist man immer weiter, auf die ganze Wandfläche.

Musik 7

"A Piece without Title" - Künstler: Göran Söllscher - Album: The Renaissance Album - Komponist: John Dowland - Länge: 0'20

ERZÄHLERIN:

Die ganze Wandfläche gestalten – und mehr noch: die platte Fläche auch so bemalen, dass sie aussieht als wäre sie gar nicht platt: das ist eine besondere Spezialität der Fassadenmalerei bis zur Barockzeit, erklärt die Augsburger Kunsthistorikerin Andrea Gottdang. 

20. Zsp. /GOTTDANG

Ja, da wurden in der Tat große Scheinfassaden entworfen, die gebaut so niemals funktioniert hätten. Da hat man seiner Fantasie schon auch freien Spielraum gelassen, 

Musik 8

"A Piece without Title" - Künstler: Göran Söllscher - Album: The Renaissance Album - Komponist: John Dowland - Länge: 0'45

ERZÄHLERIN:

Auch in die Lüftlmalerei haben solche sogenannten Trompe l’oeil-Darstellungen Einzug gehalten. Das Paradebeispiel ist das sogenannte Pilatushaus in Oberammergau, bemalt von Franz Seraph Zwinck. Auf den ersten Blick fällt das Portal auf, das sich zum Barockgarten mit seinen streng geometrisch getrimmten Buxbaumhecken öffnet. Sechs Säulen tragen das vorspringende Dach. Rechts und links davon führen geschwungene Treppenaufgänge zu hochgelegenen Terrassen. Noch weiter oben folgen weitere Treppen und Plateaus bis zu einer Art Loggia, ebenfalls von Säulen bestanden. Deren Schäfte glänzen in der Sonne, das Vordach wirft einen Schatten auf die Hauswand. Nur zum Schein, denn: Tatsächlich ist nur der Garten im Barockstil echt. Alles andere ist täuschend naturalistischer Fake. Und das vor Alpenpanorama. 

21. Zsp. /STUCKENBERGER

lachend Wir sind hier in Oberammergau. Da gibt es viel Theater! Rundum sogar die Natur!

ERZÄHLERIN:

...schwärmt die Gästeführerin Helga Stuckenberger, und vergleicht die Scheinarchitektur auf dem Oberammergauer Pilatus-Haus mit der Kulissen-Welt auf der Passionsspielbühne um die Ecke. Und nicht nur die, sondern auch die zahlreichen Figuren, die sich auf den aufgemalten Terrassen, Treppen und dem Thron tummeln.

22. Zsp. /STUCKENBERGER

Auf den meisten Häusern in Oberammergau, die Freskomalereien, also diese Lüftlmalereien, sind meistens Heiligen-Figuren oder Szenen aus Heiligen-Legenden gewesen, und da ist es die Szene des Pilatus, der Jesus grad zum Tod verurteilt, also die Geschichte, die wir im Passionsspiel ja auch alle zehn Jahre erzählen.

ERZÄHLERIN:

Etwas erzählen – das will schließlich auch der Farchanter Ludwig Felber mit der Lüftlmalerei auf seinem neuen, stattlichen Haus. 

23. Zsp. /FELBER

Nicht – wie es so oft ist – mit an Erzengel Gabriel, sondern da könnten wir zum Eingangsbereich noch die Geschichte des Hauses abbilden.

ERZÄHLERIN:

Der Lüftlmaler Bernhard Ludwig Rieger macht entsprechende Skizzen. Ohne Heilige.

24. Zsp. /RIEGER

Die Zeit ist heute a andere, wir wollen, eher drauf Wert legen, was uns ausmacht. Unsere Wurzeln.

MUSIK 9

"'s Gartl" - Künstler: Das Bloacherbach-Trio Album: Die vierte von vier - Komponist: Klaus Karl - Länge: 1'00

ERZÄHLERIN:

Doch auch die Heiligen, die die Lüftlmaler der Barockzeit auf den Häusern darstellten, hatten viel mit deren Bewohnern zu tun.

25. Zsp. /STUCKENBERGER

Da ist der Heilige Leonhard, also der fürs Vieh zuständige Heilige, drauf, oder die heilige Notburga, die für die Dienstboten da ist, dann ist der Heilige Florian drauf, wegen dem Feuer. Aber das brauchten alle, weil damals gab es offene Feuerstellen, also es war eh schwierig, und interessanterweise auch noch der Heilige Rochus. Pestheiliger. Wir sind in Oberammergau! Lacht Warum spielen wir Passion? Wegen der Pest! Also man findet immer wieder heraus, wenn man ein bisschen drüber nachdenkt, warum jetzt die Leute sich gerade so a Motiv ausgesucht haben. Das hatte sicher auch immer einen Grund. Nicht nur, weil es ihnen vielleicht gefallen hat oder so, sondern es hatte schon auch den Hintergrund, äh, sozusagen einen kleinen Deal mit Gott zu machen, wir stehen Dir nahe, hilf uns bitte.

ERZÄHLERIN:

Später schöpften die Lüftlmaler die Ideen für ihre Figuren auch aus anderen Quellen. Helga Stuckenberger weist auf ein Kinderheim in ihrer Gemeinde hin, das im 20. Jahrhundert eine Lüftlmalerei bekam – mit Rotkäppchen und dem Wolf, den Bremer Stadtmusikanten und Hänsel und Gretel. Und sie zeigt das Gebäude einer großen Schnitzerei im Ortskern, das in den 70er Jahren bemalt wurde, anlässlich des 200. Firmenjubiläums.

26. Zsp. /STUCKENBERGER

Da sind jetzt tatsächlich Leute drauf, die da in der Firma damals als Schnitzer tätig waren, ja, wirklich auch der Chef der Firma, der Bayernfahne in der Hand lacht...

ERZÄHLERIN:

Er sitzt an einem Esstisch, neben ihm zechen drei Männer und eine Frau. Eine Kapelle spielt auf, ein Paar tanzt, eine Frau brät ein Huhn über einem offenen Feuer, ein Händler döst am Weg. Hühner, Esel, Katzen, Pferd, Hund – alles ist vertreten. Am Schnitzen sind zwei, eher am Rand. Aber die Gesichter sind alle eindeutig.

27. Zsp. /STUCKENBERGER

Wenn man die Leute kennt oder gekannt hat, viele sind ja schon gestorben, weiß man: ja ja, das ist der oder der... 

Musik 10

"Geht leicht (a)" - Komponist und Ausführender: Thomas Binegger - Album: A Hund auf der Geign - Länge: 1'00

ERZÄHLERIN:

In Farchant entscheidet sich die Familie von Ludwig Felber dafür, auf ihren stattlichen Neubau das alte, dafür abgerissene Elternhaus malen zu lassen, dazu Menschen aus drei Generationen, vom Bub bis zum Großvater.

28. Zsp. /FELBER

Mit dem Opa, der die Sense schwingt und führt, und dann noch die Familie im Verbund, die Heu ernten tut, alle helfen z’samm, und dass man eben des widerspiegelt, dass man sagt: nur wenn man z’sammenhelft, gehts weiter.

ERZÄHLERIN:

Ludwig Felbers Credo. Bernhard Ludwig Rieger zeichnet die geplante Lüftlmalerei in seinem Atelier zuhause vor, um sie dann mit Hilfe eines Rasters auf die Fassade des Hauses Felber übertragen zu können. Keine einfache Aufgabe, weiß die Augsburger Kunsthistorikerin Andrea Gottdang.

29. Zsp. /GOTTDANG

Sie müssen sich als Künstler über die Größenverhältnisse, über die Proportionen klar werden. Denn wenn man mal sich für eine Figurengröße entschieden hat, dann sollte man die auch nach Möglichkeit durchhalten, insbesondere dann, wenn man vielleicht ein illusionistisches Programm schaffen will, das so aussieht, als wäre es wirklich ganz echt, das funktioniert nur, wenn man wirklich genau Rücksicht nimmt auf den Betrachter-Standpunkt oder auf, ja, vielleicht sogar auf den Lichteinfall, wann er zu welcher Tageszeit von wo kommt. 

ERZÄHLERIN:

Bernhard Ludwig Rieger löst das pragmatisch – etwa wenn es darum geht, den Opa mit der Sense so zu malen, dass er von unten, also vom üblichen Betrachter aus gesehen, gut aussieht.

30. Zsp. /RIEGER

Da habe ich mein Bruder dann ins Spiel geholt und habe den positioniert und habe den von unten mit dem Handy fotografiert, wie er auf der Garage steht und kann sagen okay, die Anatomie oder so, die muss aa a bissel passen. Es muss nicht perfekt sein bei der Lüftelmalerei, aber es sollte annähernd sein.

Musik 11

"'s Gartl" - Künstler: Das Bloacherbach-Trio Album: Die vierte von vier - Komponist: Klaus Karl - Länge: 0'40

31. Zsp. /GOTTDANG

Lüftlmalerei ist eher in den volkskundlichen Bereich zu verorten, also nicht nur von Künstlern ausgeführt, sondern von Kunsthandwerkern, Kunstmalern, auch Handwerksbetrieben, die sich vielleicht darauf spezialisiert haben, während wir unter Fassadenmalerei doch eher die klassischen Kunstwerke bis ins achtzehnte Jahrhundert und darüber hinaus natürlich auch verstehen, aber in Unterscheidung zur Lüftlmalerei.

ERZÄHLERIN:

…So die Kunsthistorikerin Andrea Gottdang. Als Künstler versteht sich Bernhard Ludwig Rieger aber auch, selbst wenn er nie Kunst studiert und auch keine Malerlehre gemacht hat. Seinem Auftraggeber ist wichtig, dass der Lüftlmaler und er eine gemeinsame Sprache sprechen. 

32. Zsp. /FELBER

Wenn ich jetzt an Architekten, an Preußen, da hob, den muss ich weiß Gott was erklären, was eine Geschichte vom Haus mit der Landwirtschaft zu tun hat. Und so ist des sofort a ganz andere Basis.

ERZÄHLERIN:

Außerdem ist Ludwig Felber mit seiner Familie Schritt für Schritt dabei, wie Bernhard Ludwig Rieger die Lüftlmalerei für ihn entwickelt.

Für Familie Felber steht einiges auf dem Spiel. Nicht nur der Geldbetrag für den Künstler und die Farben, über dessen Höhe sich beide ausschweigen. Ludwig Felber und seine Familie müssen schließlich am Ende auch mit der Malerei auf ihrem Haus leben. Sie prägt ihr Image im Ort – und auch den Ort selbst.

34. Zsp. /RIEGER

Ja, man ist da schon aufgeregt, ein bissl nervös, weil die Problematik ist: Wenn i jetzt grad bei so am Bild anfang, wie geht sich’s raus? Im Hintergrund fängt man an, ist man jetzt schon zu kräftig, wirds zu blass? Da ist dann auch so, dass der Ludwig schon einer ist, der aa kritisch ist und...

FELBER: Freili!

RIEGER: ...ja, der dann einfach die Schneid hat und sagt „also das Blau gefällt mir nicht“, sag ich „das ist jetzt zu früh, das Bild ist noch gar nicht fertig!“, das war schon ein paar Mal so, dass ich gesagt hab „Also noch ein Kommentar, und ich lasse alles liegen und stehen und mische ihm die Farben, er solls selber malen.“ Aber das gehört mit dazu. Die Spannung also. Er kann damit umgehen. Er hat aa die Menschenkenntnis, dass er gewusst hat, mit mir kann er das machen und kann da bissl so - so triezen. 

Musik 12

"Sonnenaufgang am Golmer Joch" - Album: Volksmusik aus Bayern - Länge: 0'40

ERZÄHLERIN:

Drei Monate lang, einen gesamten Sommer über, ist Bernhard Ludwig Rieger am Werk. Nicht mit Fresko-Technik, die wäre heutzutage zu aufwändig, sondern mit modernen Farben auf trockenem Putz. Aber auch das ist viel Arbeit. Erst malt er die Zierde rund um die vielen Fenster, dann die an der Haustür. Stets unter den Augen der Familie Felber. Fassadenmalerei ist anders als ein Bild, das jemand alleine im Atelier malt und dann nur vor Ort aufhängt. Es ist eine sehr persönliche Angelegenheit.

35. Zsp. /RIEGER

I war jeden Tag zum Mittag eigentlich mit am Tisch gesessen, man ist wirklich da mit eingebunden, und das prägt auch das Bild.

ERZÄHLERIN:

Von Felbers Firma oder seinem Installateurberuf ist auf der Lüftlmalerei nichts zu sehen. Die Figuren ernten Heu mit Sense und Mistgabeln und tragen Dirndl oder Beinkleider mit ledernen Hosenträgern über weißen Hemden. Dahinter erhebt sich das Bergpanorama und der Kirchturm von Farchant. 

Musik 13

"Sonnenaufgang am Golmer Joch" - Album: Volksmusik aus Bayern - Länge: 0'30

ERZÄHLERIN:

Ludwig Felber ist glücklich.

36. Zsp. /FELBER

Auf der Hauswand hat er das umgesetzt und a schiene Jahreszeit noch dazu, es ist grün mit Blumen, und alle Leit sind fleißig, und das ist ja a Freid, wenn man darauf schauen kann, gä.

ERZÄHLERIN:

Über der Tür des nagelneuen Hauses steht „1799“, darunter ein Willkommensgruß in Frakturschrift, darüber das Dorfwappen und noch darüber, in einer kleinen, goldenen Kartusche, der Name des Künstlers.

Farbig gestaltete Hauswände – die gibt es nicht nur im Alpenraum, sagt die Augsburger Kunsthistorikerin Andrea Gottdang.

37. Zsp. /GOTTDANG

Fassadenmalerei war eigentlich in ganz Europa, wo die Witterung es zuließ, denkbar und wurde ausgeführt.

Musik 14

"Sonnenaufgang am Golmer Joch" - Album: Volksmusik aus Bayern - Länge: 0'37

38. Zsp. /RIEGER

Aber so, wie es bei uns ist. Die Kombination aus Fensterrahmungen, Architekturmalerei, Schriftzügen, Motive, Landschaften, Figuren, das gibt es tatsächlich nur hier bei uns so.

ERZÄHLERIN:

...sagt der Lüftlmaler und:

39. Zsp. /RIEGER

Das Haus ist jetzt vollendet.

ERZÄHLERIN:

Nur eins muss er vielleicht noch nachbessern: Der Auftraggeber findet, auf dem Gesicht des Kindes auf dem Bild liege ein Schatten. Der soll noch weg. Denn bei der Lüftlmalerei soll alles harmonisch sein.


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