radioWissen

Der Rasen – Heiliger Teppich oder ökologische Wüste?

Sattgrün, makellos und weich - der perfekte Rasen ist eine Wissenschaft für sich und sogar Studienfach! Seine Zukunft ist jedoch prekär: Wilde Wiesen mit Klee, Kräuterblumen und Moos sind für die Folgen der Klimakrise besser gewappnet. Von Kirsten Zesewitz

Der Rasen – Heiliger Teppich oder ökologische Wüste? | Bild: adpic/M. Baumann
23 Min. | 14.3.2025

VON: Kirsten Zesewitz

Ausstrahlung am 14.3.2025

SHOWNOTES

Credits
Autorin dieser Folge: Kirsten Zesewitz
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Julia Fischer, Benjamin Stedler
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Prof. Norbert Kühn, Leiter des Fachgebietes Vegetationstechnik und Pflanzenverwendung an der Technischen Universität Berlin; 
Prof. Iris Lauterbach, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München; 
Steven Wagner, Greenkeeper Golfclub Hauptmoorwald Bamberg e.V.

Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren:


Insektenvielfalt auf der Wiese - Eine Welt für sich
JETZT ENTDECKEN

Der Saum der Landschaft - Was existiert zwischen Feld, Bach und Wald
JETZT ENTDECKEN

Geniales Gras! - Alles Natur
JETZT ENTDECKEN

Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

WDR 5 Das philosophische Radio
Ein Austausch mit anderen nachdenklichen Menschen in einer einzigartigen öffentlichen philosophischen Diskussion
JETZT ENTDECKEN

Linktipps:

Deutsche Rasengesellschaft e.V.  Website

Studiengang an der Hochschule Osnabrück Website

Zentralinstitut für Kunstgeschichte Website

Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen Website

TU Berlin, Fachgebiet Vegetationstechnik und Pflanzenverwendung  Website

Golfclub Hauptsmoorwald Bamberg e.V.   Website

Literatur:
Gothein, Marie Luise: Geschichte der Gartenkunst
Hennebo, Dieter: Geschichte der deutschen Gartenkunst
Uerscheln, Gabriele: Kleines Wörterbuch der europäischen Gartenkunst
Grzimek, Günther: Die Besitzergreifung des Rasens (zum Thema Rasen im Olympiapark in München)
Noll, Thomas: Albrecht Altdorfer in seiner Zeit (zum Thema Rasenbänke in der Kunst des Mittelalters)

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN

Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Stellen wir uns ein Kind vor, das im Garten spielt. Einen Fußballer, der im Stadion den Fußball kickt. Eine Golferin, die elegant zum entscheidenden Schlag ausholt. Und vielleicht noch einen Mann, der in seinem Vorgarten einen Rasenmäher vor sich herschiebt.

All das passiert auf einem Rasen. 

Wikipedia schreibt dazu:

ZITATOR

„Rasen bezeichnet eine anthropogene Vegetationsdecke aus Gräsern, die durch Wurzeln und Ausläufer mit dem Boden verbunden ist, im Siedlungsgebiet  der Menschen liegt und nicht landwirtschaftlich genutzt wird.“

SPRECHERIN

Für die einen ist er heilig – wie der Tennisrasen von Wimbledon – für andere ein Statussymbol. 

  Musik Fantasie für Cembalo C-Dur 0‘26

Nirgendwo auf der Welt aber erreicht der Rasen jene Schönheit und frische grüne Farbe wie in England, wo er seinen Ursprung nahm.

OT 1 Iris Lauterbach

England war schon im 17. Jahrhundert dafür berühmt, muss man sagen, dass dort der perfekte Rasen gedieh. Das lag natürlich am feuchten Klima und dann auch an bestimmten Pflegemaßnahmen, die man in England offenbar bereits seit dem 17. Jahrhundert ergriffen hat, um den die Rasenfläche auch so schön zu erhalten.

SPRECHERIN

Prof. Iris Lauterbach. Sie forscht am Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte zur Entwicklung der Gartenkunst in Europa. Und die Gartenkunst sei ohne den Rasen gar nicht vorstellbar, sagt Lauterbach... Die Farbe Grün spiele dabei eine entscheidende Rolle: Die Schönheit des frischen grünen englischen Rasens habe zeitgenössische Besucher aus Deutschland und Frankreich nachhaltig beeindruckt:

OT 2  Iris Lauterbach

Dass diese grünen Flächen so bedeutend waren und als schön empfunden wurden damals, hat man auch wirklich schon formuliert! Es heißt explizit: die Farbe Grün ist entspannend für das Auge und deswegen wirkt das so angenehm und natürlich. In Barockgärten, in Frankreich und Deutschland hat man dann versucht, das zu imitieren, und hat schnell angefangen, seit dem frühen 18. Jahrhundert solche Rasenflächen auch aufzunehmen. Die hießen dann immer „auf englische Art“ und dienten dazu, auch in Barockgärten eine solche natürliche Note einzubringen. 

Musik: What is it 0‘22

SPRECHERIN

Aber was genau macht die Faszination des Rasens aus? Dazu muss man zunächst einmal festhalten: Rasen ist nicht Wiese: Ein Rasen dient ästhetischen Zwecken, man kann auf der weichen, ebenmäßigen Grasfläche hervorragend Ballspielen, picknicken oder sich sonnen. Sie ist aber – landwirtschaftlich betrachtet – eine unproduktive Fläche; ein Stück grünes Land, das der Lebensmittelherstellung entzogen wurde. Im Gegensatz zur Wiese, sagt der Pflanzenökologe Prof. Norbert Kühn von der Technischen Universität Berlin.


OT 3 Norbert Kühn

Ursprünglich sind Wiesen mal dazu da, um Futter zu erzeugen, das heißt, in einer Wiese ist alles Mögliche drin und wenn ich eine Wiese 20-mal schneide, dann wird alles herausselektiert, was hoch und groß wächst. Und es bleibt im Grunde genommen nur das niedrige übrig, was diesen Schnitt übersteht. Und wenn ich davon wieder die Kräuter wegnehme, dann komme ich zu niedrigen Gräsern. Und aus diesen niedrigen Gräsern besteht üblicherweise der Rasen.

SPRECHERIN

Rasen ist also das, was übrigbleibt. Eine Monokultur, die entsteht, wenn man all die Vielfalt der Blumen und Kräuter runter mäht und raus spachtelt.

Musik:  First steps 0‘29

Aber: Diese Monokultur ist perfekt. Sie ist unglaublich dicht und weich und sanft – und fühlt sich einfach gut an. Norbert Kühn hockt auf einer Rasen-Versuchsfläche der Technischen Universität in Berlin Dahlem und streicht mit den Fingern über den grünen Golfrasenteppich. 

OT 4 Norbert Kühn

Das ist schon auch etwas Besonderes. Und der hat eine ganz andere Textur wie das, was man normalerweise hat, wenn man seinen eigenen Rasen im Einfamilienhaus- Bereich hat, der ist wesentlich höher. Hier ist es wirklich, als ob man über einen Teppich drüber geht. 

SPRECHERIN

Auftragsforschung nennt Norbert Kühn das, was die Technische Universität Berlin hier macht. Sie untersucht die Qualität von Rasensorten. 

Denn es gibt nicht „den“ „einen“ Rasen. Die Bandbreite geht vom gewöhnlichen Gebrauchsrasen für den Hausgarten über zarte, nur zum Anschauen gedachte Zierrasen bis hin zu hoch spezialisierten Sportrasen: wie dem für Golf. 

Und für jede dieser Anwendungen gibt es eine standardisierte Samenmischung: die so genannte „Regel-Saatgut-Mischung“.

OT 5 Norbert Kühn

Und wenn man eben entsprechend eine solche „Regel-Saatgutmischung“ kauft, dann will ich davon ausgehen, dass diese Mischung auch funktioniert für den Zweck, den ich haben will. Und da kommen eben die entsprechenden, vorher geprüften Sorten rein und die müssen eben so gut sein, dass sie dieser Regel-Saatgut-Mischung dann auch genügen.

SPRECHERIN

Die meisten Saatgutmischungen bestehen vom Grundsatz her aus: Deutschem Weidelgras, Wiesenrispe und Rotschwingel. Sie sind sowas wie die Standardgräser im deutschen Rasen.

Atmo: Rasenmäher

SPRECHERIN

Auf dem Versuchsgelände in Berlin Dahlem kümmern sich zwei Universitätsgärtner um die wissenschaftlichen Rasenflächen: Sie mähen und walzen den Rasen, malträtieren ihn – wie im Falle des Fußballrasens mit einer speziellen „Scherstollenwalze“ – und am Ende der Testzeit gibt Professor Kühn eine Auswertung seiner Untersuchungen an das Bundessortenamt.

Musik:  Eco statistics red 0‘20

SPRECHERIN

In Sachen Fußballrasen ist Norbert Kühn im Laufe der Jahre zu so etwas wie einem wissenschaftlichen Experten für das Berliner Olympiastadion geworden. Der Professor muss schmunzeln bei der Frage, was denn nun das Geheimnis des „perfekten“ Fußballrasens sei.

OT 6 Norbert Kühn

Also, das Geheimnis ist natürlich, dass er sich strapazieren lässt, dass er gleichmäßig aussieht und dass er auch mit den relativ schlechten Belichtungs-Verhältnissen in den Stadien gut zurechtkommt. Der muss während des Spiels topfit sein und nach dem Spiel ganz schnell sich wieder in eine gute Form bringen lassen. Ein Fußballrasen ist schon ziemlich eine hohe Kunst. Dafür gibt es dann extra Greenkeeper, um eben diese Rasen auch entsprechend herzustellen.

SPRECHERIN

Wenn der Fußballrasen die hohe Kunst ist, dann ist der Golfrasen wohl die Königsdisziplin. 

OT 7 Steven Wagner

Ist es auf alle Fälle. Ich habe ja 20 Jahre als Gärtner gearbeitet und dachte, ich kenne mich mit Rasen recht gut aus, hab dann meine Meisterausbildung zum Greenkeeper gemacht und habe gemerkt, da steckt doch einiges mehr dahinter als einfach nur Rollrasen zu verlegen oder Rasen zu mähen. 

Musik:  Good reasons 1‘11

SPRECHERIN

Steven Wagner betreut den Golfplatz im Bamberger Hauptsmoorwald. Ein kleiner 9-Loch Platz, gut 13 Hektar hat Wagner zu mähen – nicht viel im Vergleich zu großen Golfplätzen. Trotzdem sitzt der Mittfünfziger mit dem kahl geschorenen Kopf im Sommer jeden Tag mehrere Stunden auf dem Ansitzmäher. Es gibt einiges zu mähen: Der äußere Rasen des Golfplatzes, das so genannte „Rough“, ist zwischen 3 und 7 Zentimeter hoch.  Das „Fairway“, also die großen Rasenflächen, auf denen die Golfer den Ball weiter schlagen, wird auf 1,6 bis 2 Zentimeter Höhe geschnitten – und das „Vorgrün“ in Sichtweite des Loches auf 1 Zentimeter. Spannend wird es dann am „Grün“ oder Englisch „Green“: Hier, wo der Golfball ins Loch geputtet wird, darf das Gras gerade einmal 4 Millimeter (!) aus dem Erdboden herausschauen. Und hier liegt die Kunst.

OT 8 Steven Wagner

Wir bewegen uns im Millimeterbereich, das heißt, wenn dort einfach mal Wasser oder Nährstoffe fehlen oder eine Krankheit kommt, das muss man sehr früh erkennen. Und deswegen braucht man ein geschultes Auge und auch ein Gefühl für die Natur. 

ATMO Golf

Und beim Golf ist ja gewünscht – ich spiele selber Golf, deswegen weiß ich’s – dass der Ball auf dem Grün wie auf einem Spiegel läuft, ohne zu hoppeln. Ganz ruhig und sehr spurtreu. Spurtreu heißt bei uns, so ein Grün ist natürlich nicht immer eben. Es hat Ondulierungen, also Berge und Täler, nach links und rechts geneigt, und das sollte dieser Ball annehmen.

SPRECHERIN

Im Klartext: Wenn sich der Boden nach links neigt, soll der Ball auch nach links rollen.

Tut er das nicht, ist der Greenkeeper „schuld“. Auch deshalb muss Wagner stets ein waches Auge auf seinen Rasenteppich haben und ihn hegen und pflegen: Vertikutieren und Aerifizieren, damit Luft an die Wurzeln kommt. Wässern und Düngen zur Nährstoffversorgung. Mähen und Walzen für das perfekte Erscheinungsbild. Das Schlimmste, was einem Greenkeeper passieren kann, ist ein filziger Rasen. Es schüttelt ihn fast bei dem Gedanken:

OT 9 Steven Wagner

Wenn wir mähen und düngen, sterben Pflanzenteile ab, die Bodenlebewesen schaffen das nicht, das so schnell wegzuarbeiten und es entsteht eine hydrophobe, nicht homogene Schicht, sagen wir mal. Das nennt man Rasenfilz. Da kommt dann weniger Wasser durch und die ist ja fest und die versuchen wir zu durchbrechen und aufzulockern, dass wir einen gesunden Rasen und gesunde Wurzeln haben. 

Musik:  Green aspects red 0‘21

SPRECHERIN

Steven Wagner kann sich richtig hineinversetzen, in die zarten Wurzeln, die all das stemmen müssen: Eine Graspflanze müsse man sich vorstellen wie einen Baum, sagt er: Mit einer weit verzweigten Wurzel, einem kurzen Stamm und vielen Blättern, das sind die Halme. Weil die aber so kurz sind und wenig Photosynthese betreiben, muss die Energie aus der Wurzel kommen. Sie ist das Geheimnis eines makellosen Golfrasens, sagt Wagner. 

OT 10 Steven Wagner

Man muss wirklich das von Herzen lieben und mit der Natur eins werden, um es um zu verstehen, was da im Boden passiert, von der Wurzel, die Nährstoffe, die Mikroorganismen, die Luft, was da alles stimmen muss. Deswegen muss man da ein gutes Gleichgewicht finden, nicht zu viel, nicht zu wenig Dünger, nicht zu viel, nicht zu wenig Wasser. Also, da spielen so viele Sachen zusammen…

SPRECHERIN

(Eben) Eine Kunst... Für viele Menschen auch eine Obsession, ein Statussymbol. 

Aber… wie kam es zu dieser menschlichen Faszination für das kurzgeschnittene Grün?

OT 11 Iris Lauterbach 

Aus meiner Sicht ist die Gestaltung eines sterilen, perfekten Rasens ein Zeichen für mangelnde Naturnähe. Das kann man als Phänomen das 20. und 21. Jahrhunderts generell sagen, dass für viele Menschen die Natur immer weiter in die Ferne rückt. Natürlich kann ich mir vorstellen, wie so ein perfekter grüner Rasen ein Statussymbol ist, weil er die Illusion erweckt, man verfüge über ein großes Anwesen, habe Personal, das einen solchen Rasen pflegen kann. 

Musik: The ancient natural world 0‘34                 

SPRECHERIN

Bereits in der Antike sind die Villen reicher Bürger von einer Art Rasen umgeben. Im Mittelalter werden Rasenflächen zum festen Bestandteil der Kloster- und Ziergärten. 

SPRECHERIN

Obgleich sich die Anlage eines Rasens mit Hilfe von Grassoden, Walzen und Striegeln bis ins 19. Jahrhundert kaum veränderte, sahen die mittelalterlichen Rasenflächen etwas anders aus als das, was man heute unter einem „perfekten“ Rasen versteht, sagt Iris Lauterbach.

OT 12 Iris Lauterbach

Das Gras ist durchwachsen mit Kräutern, beispielsweise mit Raute, Salbei, Basilikum... Und im Rasen findet man auch einzelne Wiesenblümchen, also Veilchen, Gänseblümchen, Primeln, Akelei. Man muss sich vor Augen halten, dass gerade im Mittelalter es nicht so viele Orte gab, an denen Gärten angelegt werden konnten. In den Städten gab es dafür überhaupt keinen Platz. Und deswegen ist der Rasen in der Natur ein ganz wichtiges Thema. Wie viele Texte des Mittelalters sprechen vom Rasenbett? 

SPRECHERIN

Das Rasenbett oder vielmehr: Die Rasenbank gewinnt auch in der Kunst des Mittelalters weitreichende Bedeutung: Maria mit dem Jesuskind auf einer Rasenbank sitzend, wird in der Zeit um 1500 zu einer eigenen Bildgattung. Künstler wie Albrecht Dürer und Martin Schongauer zeigen die Muttergottes in Ruhe und Abgeschiedenheit; die Blumen auf der Rasenbank symbolisieren Eigenschaften wie Reinheit, Frömmigkeit, Liebe und Demut.

MUSIK:  Greenwich Palace 0‘36

SPRECHERIN

Während in den italienischen Gärten der Renaissance aufgrund des heißen, trockenen Klimas nur sehr wenig Rasen zu finden war, nahm die Rasenkultur in England im 16. Jahrhundert richtig Schwung auf. Und das hatte auch mit der englischen Begeisterung für den Sport zu tun. Frühformen des Tennis und des Crickets erfreuten sich großer Beliebtheit und allen voran: Rasen Bowling, eine Art Boule-Spiel.

OT 13 Iris Lauterbach

Man hat dann vertiefte Rasenflächen in den Gärten angelegt. Vertieft, damit die Kugeln dieses Spiels nicht wegrollen – finde ich auch sehr praktisch – und das hat man als Bowling Green bezeichnet. Diese Bezeichnung Bowling Green wurde dann auch ins Französische übersetzt, als Boulingrin, und das ist eine der ganz charakteristischen Methoden zur Bodenmodellierung von Barockgärten des frühen 18. Jahrhunderts.

SPRECHERIN

Da wiederum waren die Engländer längst dem Landschaftsgarten verfallen – der mit seinen ausgedehnten Wiesenflächen wieder mehr Blühaspekte und Natur in die Graslandschaft brachte. 

OT 14 Iris Lauterbach

Man muss sich das so vorstellen, dass Landschaftsgärten ja in der damaligen Vorstellung Bilder der Natur waren, also Gemälde im Grunde, Landschaftsgemälde, die halt in der Natur ausgeführt wurden. 

SPRECHERIN

Wiesen- und Rasenflächen dienten dazu, die Größe des Gartens zu betonen, sie wurden zu Landschaft. Das betraf auch die Pflege der Flächen. Denn: Bevor der Brite Edwin Beard Budding um 1830 den mechanischen Rasenmäher erfand und wenig später auch dampfbetriebene Mähmaschinen durch die englischen Parklandschaften tuckerten, wurden eben jene Wiesenflächen mit Schafen beweidet; die mit ihren Hinterlassenschaften tatsächlich alles andere als einen „perfekten englischen Rasen“ erzeugten.

MUSIK:  Close to nature 0‘24

SPRECHERIN

Und heute? Viele Menschen würden sich genau das auch wieder wünschen: Die Rückkehr der Wiese, nicht nur in städtischen Parkanlagen, sondern auch in privaten Gärten.

MUSIK nochmal hoch

SPRECHERIN

Denn: Nicht zuletzt wegen seiner intensiven Pflege und des enormen Wasserverbrauchs steht der Rasen – egal, ob auf Golfplätzen oder im kleinbürgerlichen Hausgarten – in der Kritik: Rasen gilt als die größte bewässerte Kultur außerhalb des Nahrungsmittelanbaus weltweit. In den USA macht die Bewässerung der Vorgärten drei Viertel (!) des privaten Wasserverbrauchs aus. Von Düngern und Pflanzenschutzmitteln ganz zu schweigen. Und: Rasen ist praktisch ohne Leben.

OT 15 Norbert Kühn 

Was lebt auf einem Rasen? Unter einem Rasen leben zumindest Würmer. Das sieht man sehr schön, wenn die Häufchen dann nach oben kommen… Im Boden dann schon Collembolen und solche Dinge. Aber auf der Rasennarbe gibt es eigentlich so gut wie keine höheren Lebewesen. 

SPRECHERIN

Noch einmal Norbert Kühn von der TU Berlin. Der Wissenschaftler hat vor 30 Jahren zur Renaturierung von Wiesen promoviert und forscht heute zur ökologischen Gestaltung der Stadtlandschaft. Das Thema ist hoch aktuell: Wie geht es weiter mit städtischen Parks und Grünanlagen? Wenn die Sommer immer heißer und trockener werden, lohnt es sich auch, über die „Renaturierung“ von Rasenflächen nachzudenken. Dafür braucht es einige Maßnahmen. Einen Rasen einfach sich selbst zu überlassen, sei nicht die Lösung, sagt Norbert Kühn. 

OT 16 Norbert Kühn 

Weil die Schwierigkeit ist, dass die Pflanzen eindringen müssen, also andere Pflanzen müssen eindringen. Das heißt, es muss erstmal ein Umgebungs-Potenzial da sein, und es müssen sich Lücken auftun, wo die sich dann etablieren. Das heißt, ich habe dann vielleicht zum paar zusätzliche Unkräuter drin, was ganz schön sein kann.. Aber so richtig artenreich bekomme ich ihn nicht. Wenn ich also wirklich will, dass ich einen bisschen artenreicheren Bestand habe, dann müsste ich den aufbrechen und auch was einsäen. 

Musik: New ideas 0’28                    

SPRECHERIN

Samenmischungen für artenreiche Wiesen, idealerweise mit gebietstypischen, also an die jeweilige Region angepassten Blumen, Kräutern und Gräsern gibt es heute in jedem Gartenmarkt zu kaufen. Die könne man dann auch noch anreichern, rät der Pflanzenökologe, mit frühblühenden Zwiebelpflanzen.

OT 17 Norbert Kühn

Und selbst da, wo ich vielleicht Verbindungswege brauche, kann ich immer noch in eine Wiese Rasenwege reinmachen – also die Wiesen sind eigentlich die Alternative dazu. 

SPRECHERIN

Aber… Da ist er wieder, der Wermutstropfen im Widerstreit von Wiese und Rasen: Eine Wiese funktioniert nur für wenig genutzte Grasflächen. Dort, wo getreten, gejoggt, gesprintet und gehüft wird, kommt die Wiese an ihre Grenzen. Und vielleicht versteht so mancher grummelnde Hobby-Kicker nun auch, warum das Fußballspielen im Münchner Englischen Garten von der Bayerischen Schlösserverwaltung nicht gern gesehen wird: Tatsächlich leiden die vom Gartenarchitekten Friedrich Ludwig Sckell ursprünglich als „artenreiche blühende Wiesen“ angelegten Grasflächen massiv unter den Torturen eines intensiven, regelmäßigen Fußballspiels. Das erträgt eben nur: ein gut gepflegter Rasen. 

OT 18 Norbert Kühn

Für Fußball – oder für Sport allgemein – gibt’s keine Alternativen, weil der Sport einfach sehr hohe Beanspruchung des Rasens hat. Dazu brauche ich die entsprechenden Gräser, und ich muss auch die entsprechenden Pflegemaßnahmen: Ich muss düngen, ich muss wässern, ich muss aerifizieren, ich muss besanden… Was auch immer dort passiert, da brauche ich diese hohe Notwendigkeit der Pflege. Sonst schaffe ich das nicht bei Fußballrasen.

Musik: Live better 0‘21

SPRECHERIN

Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Rasen, wo Rasen hingehört.  

Und… irgendwie besitzt er schon eine gewisse Faszination, so ein frischer, grüner, weicher Rasen. Der Pflanzenökologe Norbert Kühn zögert keine Sekunde bei diesem Gedanken: 

OT 19 Norbert Kühn

Rasen hat natürlich eine Faszination, weil es eben die extremste Form einer Nutzung ist. Und das kennen wir in der Natur ja auch: Wenn extreme Standortverhältnisse da sind, dann entsteht eine artenarme Pflanzengemeinschaft, weil nur wenige Pflanzen so hoch spezialisiert sind, um dort zu überleben. Also, im Grunde genommen kann man das wunderbar in so eine ökologische Theorie einbeziehen, zu sagen: Ein Fußballrasen ist ein extrem gestörter Rasen, extrem beanspruchter Rasen, und deshalb wächst da nur sehr wenig. Und das sind eben den Spezialisten.

SPRECHERIN

Steven Wagner hat seine Leidenschaft für den grünen Teppich zum Beruf gemacht. Kein Tag im Leben des Greenkeepers, an dem ihn sein Rasen langweilt:  

OT 20 Wagner

Es ist auf alle Fälle eine Faszination, sich mit diesen verschiedenen Gräsersorten auseinanderzusetzen, mit der Ernährung der Pflanzen, mit den Krankheiten, das ganze insgesamt. Und natürlich bewege ich mich liebend gerne in der Natur. Ja, für mich gibt es nichts Schöneres.

SPRECHERIN

Und die Kunsthistorikerin? Privat findet Iris Lauterbach einen makellosen Rasen abwegig und unnatürlich. Beruflich aber kann sie sich der Faszination für das Phänomen Rasen auch nicht entziehen:

OT 21 Iris Lauterbach

Der Rasen ist extrem wichtig für die Geschichte der Gartenkunst, weil er wirklich ein ganz prägendes, gestaltendes Element ist. Nicht nur im Landschaftsgarten, sondern bereits im Barockgarten, aber auch in den großen öffentlichen Volksparks des 19. Jahrhunderts. Da ist der Rasen, durch den die schönen Wege für die Bevölkerung der Stadt verlaufen, ein ganz wichtiges Gestaltungselement. Ohne Rasen gäbe es gar keine Geschichte der Gartenkunst. 

Musik:  All good 0‘24

SPRECHERIN

Und plötzlich leuchtet die zarte, grüne Rasenfläche in Nachbars Garten in ganz anderem Licht… Wobei, hier wäre eine blühende Wiese eigentlich so viel schöner.



radioWissen | Bild: Getty Images / BR
BAYERN 2

radioWissen

Neueste Episoden