Schlafen - Wer bin ich in meinen Träumen?
Schlaf fasziniert die Menschen seit jeher: Wie nah ist man im Schlaf dem Tod? Was oder wer ist man überhaupt im Schlaf? Philosophie, Literatur, Medizin oder Naturwissenschaften geben Antworten darauf. Die sind über die Jahrtausende hinweg allerdings sehr verschieden. Von Susi Weichselbaumer (BR 2024)
VON: Susi Weichselbaumer
Ausstrahlung am 5.4.2024
SHOWNOTES
Credits
Autorin dieser Folge: Susi Weichselbaumer
Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Irina Wanka, Burchard, Dabinnus, Silke von Walkhoff, Friedrich Schloffer
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
Victor Spoormaker, Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München
Holger Brohm, Institut für Kulturwissenschaft, Humboldt-Universität Berlin
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATOR/ ZITATORIN
„Guten Abend, gut Nacht“ gesummt
ATMO Flirrend Feenwald
1 ZU (13 M - Kind)
Ich träume am liebsten von Feen, die zaubern lernen in der Zauberschule.
MUSIK Fairies
ZITATOR/ ZITATORIN
Gute Nacht! // Schlaf schön!
2 ZU (9 W - Kind)
Beim Schlafen ist der Kopf klar und man hat keinen Sorgen und man träumt was Schönes.
MUSIK Doomed / ATMO Wind / Käuzchen / Schurkenlache
ZITATOR/ ZITATORIN
Bis morgen! // Bis in der Früh!
3 ZU (3 Q - Kind)
Wenn ich aufgewacht bin, da habe ich so eine Angst gehabt.
LANGES ENDE
4 ZU (2 W- Kind)
Ich bin nicht so ganz bei mir, glaube ich, und als ich dann aufgewacht bin, war ich erstmal so: Wow!
MUSIK
ERZÄHLERIN
Wer bin ich, wenn ich schlafe? Das ist eine uralte Frage. Die Menschen wahrscheinlich immer gestellt haben und stellen werden.
ERZÄHLER
Vielleicht ist man der oder das, was man träumt?
ERZÄHLERIN
Zugleich aber immer noch das eigene ich: Mein reales Ich.
ERZÄHLER
Und ist der Traum ein extra Raum? In dem eine Geschichte abläuft. Und man ist bei dieser Geschichte – ja – dann wer?
ERZÄHLERIN
Die Autorin – weil: Man träumt sich das schließlich zusammen.
ERZÄHLER
Oder es träumt einem! Und in dem Traum, der - bei einem! - abläuft, reagiert man auf das, was passiert. Irgendwie.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN
Mein Schlaf und ich – die Beziehung ist kompliziert.
ERZÄHLER
Oder ganz einfach.
5 ZU Brohm 12:20
Einerseits scheint nichts so natürlich, wie zu schlafen. Wir müssen schlafen, wir können uns dem nicht entziehen.
ERZÄHLER
Sagt Holger Brohm. Er ist Kulturwissenschaftler an der Humboldt Universität zu Berlin.
6 ZU Brohm 12:20
Zum anderen können wir manchmal nicht schlafen. Wir sind schlaflos. Wir fühlen uns morgens müde, weil wir das Gefühl haben, nicht ausgeschlafen zu sein. Also ergibt sich um den Schlaf herum eine riesige, große Problematik.
ERZÄHLERIN
Das sehen Menschen seit jeher so. Lange weiß man nicht: Was ist Schlaf überhaupt und was genau soll das?
MUSIK
ERZÄHLER
Heute ist man da weiter. Etwas.
7 ZU Spoormaker 0.00
Man kann messen, was im Gehirn passiert, und da kann man dann sehen, dass Schlaf nicht eine Periode ist, sondern das sind unterschiedliche Zustände, wo manchmal das Gehirn super aktiv wird und manchmal das Gehirn halb ausgeschaltet ist.
ERZÄHLERIN
Erklärt Victor Spoormaker. Am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München untersucht er seit Jahren per Scan, MRT, EEG: Was macht das menschliche Gehirn im Schlaf?
8 ZU Spoormaker 0.00
Es sind so Schlafzyklen. Wenn man einschläft, dann hat man erstmal leichten Schlaf, danach kommt man in Tiefschlaf, dann geht man zurück zum leichten Schlaf und dann kommt dieses komische Stadium, wo wir am meisten träumen, REM-Schlaf heißt das so nach Rapid-Eye-Movement – Schnelle-Augen-Bewegungen, und da ist das Gehirn tatsächlich so aktiv wie tagsüber.
ERZÄHLERIN
In vielen seiner Bereiche.
ERZÄHLER
In einigen wesentlichen aber nicht. Die schalten im REM-Schlaf auf Pause.
9 ZU Spoormaker 1.24
Das sind Hirnareale hinter der Stirn, im präfrontalen Kortex, und die sind tagsüber zuständig für Planung, Kontrolle, Arbeitsgedächtnis, also höherer kognitive Funktionen, und die stehen aus im REM-Schlaf.
MUSIK ENDE
10 ZU Spoormaker 1.24
Und dann wird es interessant.
MUSIK
ERZÄHLERIN
Das Ich im Schlaf ist viel ausgelieferter als bei Tag. Denn: Kontrollmechanismen fehlen. Herausforderungen begegnet der schlafende Mensch nicht planvoll, vorausschauend.
ERZÄHLER
Sondern in erster Linie uremotional. Da fließen die Tränen im Schlaf.
ERZÄHLERIN
Da wird hemmungslos gelacht.
ERZÄHLER
Heftig geliebt.
ERZÄHLERIN
Sich wild gefürchtet!
MUSIK ENDE
ERZÄHLER
Deshalb passt der Begriff auch nicht richtig. Der Wort-Ursprung von „Schlaf“ ist altgermanisch. Die Goten sagten „sleps“. Alt- und mittelhochdeutsch wurde daraus: „Slaaf“. Gemeint war stets: Ein schlaffer Zustand. Und das ist Schlaf ja nur phasenweise.
MUSIK
ERZÄHLERIN
Wusste man dereinst eben noch nicht. Wie vieles über den Schlaf. Klar: Gepennt, geratzt, weggeschnarcht wurde immer. Aber ganz angenehm war das – genauso zu allen Zeiten – nicht jeder und jedem. Das Seltsame an der Sache ist ja das Loslassen. Das sich Wegbegeben aus der Realität, aus dem, was wir bewusst wahrnehmen und beeinflussen – sich wegbegeben.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN
Wohin eigentlich?
11 ZU Brohm 15:13
Lange Zeit wurde der Schlaf - schon in der griechischen Mythologie - als ein Bruder des Todes angesehen. Der Schlaf war etwas, was mit Ruhigstellung, mit Passivität verbunden ist. Der Schlaf wurde als Gefahr verstanden.
ERZÄHLER
In der griechischen Sagenwelt sind der sanfte Schlaf, Hypnos, und der mitleidlose Tod, Thantos, miteinander verwandt.
ERZÄHLERIN
Sie sind Brüder. Söhne der Nachtgöttin Nyx.
MUSIK
ERZÄHLER
Nyx ist komplex.
ERZÄHLERIN
Nyx ist besonders.
ZITATOR
Entstanden aus dem göttlichen Chaos am Anfang allen Seins ist Nyx die Nacht. Ihr Bruder ist die Dunkelheit. Nyx ist riesig. Wenn sie in ihrem Wagen, gezogen von zwei schwarzen Pferden, durch den Himmel rast, wehen ihre langen schwarzen Haare im Wind, die Augen sind nadelspitz –
MUSIK ENDE
ERZÄHLER
Nyx hat in alten Darstellungen weitausladende Schwingen. Sie ist eine geflügelte Göttin. Warum fährt sie im Pferdewagen über den Himmel? Überhaupt: Was sind nadelspitze Augen?
ERZÄHLERIN
Wahrscheinlich solche, die dich durchbohren… Wichtig ist: Die Nacht macht den Menschen in der Antike Angst. Die Söhne der Nyx heißen nicht von ungefähr Tod und Schlaf – das sind Rätsel. Wie lange muss man nicht mehr aufwachen, um tot zu sein? Das ist eine praktische Frage früherer Bestatter.
MUSIK
ERZÄHLERIN
Der römische Dichter Ovid schreibt:
ZITATOR
Der Schlaf ist das Abbild des Todes.
ERZÄHLER
Seine Koordinaten kennt die damalige Dichtung sogar auch.
ZITATOR
Er wohnt in einer Höhle am Ufer des Lethebaches, wohin niemals die Sonne gelangt.
ERZÄHLERIN
Lethe ist - der Sage nach - einer der Flüsse in der Unterwelt. Der Name meint „Vergessen“. Wer vom Wasser der Lethe trinkt, verliert vor dem Eingang ins Totenreich seine Erinnerung.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN
Dann scheiden sich ein bisschen die dichterischen Geister. Manch damaliger Autor belässt die Toten dort. Vergil und andere Schreiber bringen die Seelen zurück ins Leben – ohne Wissen um die eigene Vergangenheit.
ERZÄHLER
Zurück auf Werkseinstellung, würde man heute sagen.
ERZÄHLERIN
Das ist makaber.
MUSIK
ERZÄHLER
Naja: Schlaf ist Todes Bruder. Glauben auch die Germanen. Die nennen sowohl den Schlaf als auch den Tod „Sandmann“. Einmal der, der den Kindern Sand in die Augen streut. Und einmal Sandmann im Sinne von „Sendmann“, „Sendbote“, hinüber in die andere Welt. Man kann in alten Zeiten schließlich nicht sicher sein. Die Menschen schlafen nicht nur deshalb zu mehreren in einem Zimmer, weil es wohnraumtechnisch bis in die Neuzeit bei vielen Familien einfach einkommensbedingt eng ist. Man fürchtet die Nacht. Dass morgens aufgewacht wird – sagt die Erfahrung. Aber nicht immer. Und warum dann mal nicht – das kann die frühe Medizin selten erklären. Ihrem Ruf als Wissenschaft wenig zuträglich sind gängige Geschichten von lebendig Begrabenen. Aus Versehen. Wusste man nicht besser. War eben lange nicht wach.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN
Schlaf als Scheintod – wird ein verbreitetes Motiv in Sagen, Dichtungen und Märchen. Éin Motiv, das sich hält, weil es fasziniert.
ERZÄHLER
Weil allein die Vorstellung in einem schmalen, stickigen, stinkenden Sarg aufzuwachen, zwei Meter unter der Erde…
ERZÄHLERIN
Hallo!
ERZÄHLER
Ja. Also: Berühmte Dichtungen mit Scheintod.
MUSIK
ERZÄHLER
Bestes Beispiel: Shakespeares „Romeo und Julia“. In wilder Verzweiflung ob maximal brennender Liebe bei minimal einverstandener Verwandtschaft, greift SIE zum Schlaftrunk. „Julia lebt!“, seufzend sollen sie bei ihrem Wiedererwachen der Verbindung mit Romeo zustimmen. ER – Romeo – weiß von diesem Plan nichts und das ist ein Fehler! Also Romeo kommt zu früh dazu. Und wie SIE – Julia – da so liegt in diesem todesähnlichen Schlaf – und ihre Familie klagt und seine nicht, denn die Sippen sind verfeindet und ER wähnt sich schuldig, dass SIE –.
ERZÄHLERIN
Kurz: Von Trauer gebrochene Herzen fühlen nicht sicherheitshalber nochmal den Puls, ehe sie selbst -
MUSIK ENDE
ZITATOR / ZITATORIN
„So wilde Freude, nimmt ein wildes Ende und stirbt im höchsten Sieg“
ERZÄHLERIN
Der Prinz in Grimms Märchen „Schneewittchen“ geht patenter vor.
MUSIK
ERZÄHLERIN
Er küsst probeweise die schlafende Schöne im Glassarg.
ERZÄHLER
Von der alle, auch sämtliche Mitbewohner-Zwerge, überzeugt sind, dass sie tot ist. Vergiftet von der eifersüchtigen Stiefmutter.
ZITATOR
Frau Königin, ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen über den sieben Bergen bei den sieben Zwergen …
ERZÄHLERIN
Drum prüfe, wer sich ewig bindet – ob sich nicht doch ein Lebenszeichen findet… Schneewittchen erwacht vom Kuss des Prinzen.
ERZÄHLER
Und heiratet ihn von der Stelle weg. Dornröschen wird das genauso handhaben, andere auch. Wachküssen macht im Märchen Schule.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN
Im echten Leben schmachtet einen morgens kein spontan verliebter Erbe der Krone an. Da rappelt gnadenlos der Wecker. Man wünscht, es wäre schon wieder Abend.
12 ZU (5W, 7b M, 9W Kinder)
Ich finde es entspannend, wenn man schläft, weil das deinen Körper wieder auftankt. // Ich schlaf am liebsten ein mit meiner Familie // Immer zum Einschlafen lese ich meiner Familie was vor und danach kuschle ich mich zu ihnen.
MUSIK
ERZÄHLER
Und tausche mein waches Ich ein gegen mein Schlaf-Ich. Das tickt etwas anders.
ERZÄHLERIN
Die Forschung weiß inzwischen: Im Traum machen nicht nur Hirnareale Pause, die zuständig sind für Planung und logisches Denken. Auch emotionale Notbremsen setzen aus, die wir im Realen ziehen können – Wir wollen nicht, dass der Ex merkt, dass er noch berührt. Die Chefin soll nicht mitbekommen, dass ihre Kritik verletzt hat, der Einwurf des Kollegen war so grandios, wir platzen mitten in der sehr ernsthaft wichtigen Konferenz… spontan nicht heraus.
ERZÄHLER
Im Schlaf aber –
13 ZU Spoomaker 2.44
Es ist nicht so, dass man das richtige Selbst ist. Sondern ein klein bisschen mehr Kontrollverlust als sonst.
ERZÄHLERIN
Erklärt der Schlafexperte am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Victor Spoormaker.
14 ZU Spoomaker 2.44
In Träumen streitet man sich öfters und hat öfters eine Hauerei als tagsüber. Die Emotionen sind viel intensiver als tagsüber, die werden auch nicht gehemmt. Da hat man dann den totalen Verlust oder die totale Freude und kann das, wenn man wach wird, gar nicht mehr so nachvollziehen.
MUSIK ENDE
ERZÄHLER
Blöd für viele Werbeangebote, die da behaupten der träumende Geist sei stets offen für Eindrücke, die nach dem Aufwachen weiterwirken.
MUSIK
ZITATORIN
Selbstoptimierung im Schlaf -
ZITATOR/ ZITATORIN
Werde klüger// gesünder // kreativer// schöner!
ZITATOR
Entspannter im Schlaf mit Traumreisen zur inneren Einkehr an Orte, die du liebst.
ZITATORIN
Diese Traumreise ist gut für dich, wenn du dich nach Behaglichkeit und einem Gefühl von Geborgenheit sehnst. Ich lade dich ein ins Auenland, in eine gemütliche Hobbit-Höhle, das Feuer prasselt im Kamin -
ZITATOR
Lerne Sprachen im Schlaf -
ZITATORIN
Flugzeugtriebwerk. Auf Finnisch: Lentokonesuihkuturbiinimoottoriapumekaanikkoaliupseerioppilas
MUSIK ENDE
ERZÄHLER
Ob das tatsächlich alles im Schlaf funktioniert?
ERZÄHLERIN
Die Wissenschaft hat wenige Hinweise darauf. Manche Studien zeigen: Vokabeln wiederholen und sich dadurch besser merken im Schlaf, das kann gehen, wenigstens in den entspannten Zeiträumen vor und nach der traumaktiven REM-Phase. Bislang unbekannte Vokabeln speichert das Gehirn nicht.
ERZÄHLER
In der bewegten REM-Phase hingegen lassen sich vielleicht motorische Fähigkeiten verbessern wie Kung Fu, Snowboardfahren oder Gitarre spielen.
ERZÄHLERIN
Ganz genau weiß auch das die Forschung nicht.
ERZÄHLER
Oder hat noch nicht ausreichend filigrane Messgeräte, um entsprechende Wirkungen im Gehirn exakt nachzuweisen. Vieles ist nach wie vor einfach Ausprobieren, erzählt Schlafexperte Spoormaker. Der neuste Trend:
17 ZU Spoomaker 5.10
Das Phänomen des Klartraums, wobei man versucht mit Bewusstsein einzuschlafen. Das ist superschwer, aber wenn man sehr müde ist und man schläft ein und es kommen schon paar Bilder und man kann mit Bewusstsein einschlafen, da hat man einen großen Gestaltungsspielraum. Aber es ist halt dein Gehirn, es ist nicht ganz zu manipulieren.
ERZÄHLERIN
Besser als meine Fantasie kann auch mein Traum nicht?
ERZÄHLER
Überraschend großartige Blockbuster entstehen vor dem inneren Klartraumauge nicht. Wahrscheinlich. Fest steht jedenfalls: Schlaf ist dem Menschen vertraut, weil alltäglich. Aber zugleich suspekt, weil nicht vollends kontrollierbar. Bereits die Höhlenbewohner stellen jede Nacht wenigstens eine – hoffentlich verlässliche – Person ab, die das Feuer bewacht. Und alle, die schlafen, vor Säbelzahntiger und Co.
ERZÄHLERIN
Die römische und griechische Antike hat genauso Respekt vor dem Schlaf. Er macht den Menschen passiv, angreifbar, liefert einen aus –
ERZÄHLER
Frühe östliche Kulturen wollen diese Furcht überwinden. Da wird der Schlaf beschrieben als der eigentliche, der wahre Zustand des Menschen.
ZITATOR
Alles ist eins: Im Schlaf ist die Seele ungestört und aufgenommen in diese Einheit.
ERZÄHLERIN
Schreibt der chinesische Philosoph Chuang Tzu um 300 vor Christus.
ZITATOR
Im Wachen hingegen ist die Seele abgelenkt und sieht die verschiedenen Gegebenheiten der Welt.
MUSIK
ERZÄHLERIN
Die altindischen philosophische Texte der Upanishaden kennen mehrere Schlafphasen. Der Tiefschlaf ist der, der den Menschen zu seinem Selbst bringt.
ZITATOR
Wenn man tief schläft, ruhig und heiter und keinen Traum sieht, das ist das Selbst, das ist das Unsterbliche, Furchtlose.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN
Aber auch der Zustand, der einen glatt in die Pleite treibt, denn: Wer schläft, arbeitet nicht. Im Christentum wird das Aufwachen später oft im übertragenen Sinn verstanden: Das Neue Testament erzählt von erweckt werden, sehen, verstehen – auferstehen. Das Alte Testament ist da noch pragmatischer.
ZITATOR
Liebe den Schlaf nicht, dass du nicht arm werdest; lass deine Augen wacker sein, so wirst du Brot genug haben.
ERZÄHLERIN
Ein bisschen wie unser heutiges: Wer schläft, verliert.
ERZÄHLER
Wobei: Sind wir nicht inzwischen eins weiter, über das reine Leistungsdenken hinaus? Wo das Leben nicht mehr nur erfolgsgetrieben ist, sondern Balance will: Life and Work?
ERZÄHLERIN
Gute Frage und eine, die die Menschheit bereits lange beschäftigt: Was ist das richtige Schlafverständnis?
ERZÄHLER
Und entsprechend das optimale Schlafverhalten?
MUSIK
ERZÄHLER
Spätestens als sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Naturwissenschaft mehr und mehr durchsetzt gegen Religion und Philosophie, wird der Schlaf zum regenerativen Element.
ERZÄHLERIN
Warum und wie der Mensch da was auftankt – mehr Sauerstoff, neues Blut, aufgefüllte Flüssigkeit im Gehirn –
ERZÄHLER
Im 19. Jahrhundert diskutieren die Gelehrten: Entsteht Schlaf durch Sauerstoffmangel? Blutleere im Gehirn? Umlagerung elektrischer Ladungen in den Nervenzellen – zum Beispiel durch zu viel Milch in der Nahrung?
MUSIK ENDE
18 ZU Spoomaker 5.10
Wir sind am Anfang.
ERZÄHLERIN
Gibt Victor Spoormaker vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie zu:
19 ZU Spoomaker 5.10
Wir wissen nicht mal genau, wozu gibt es REM-Schlaf? Also wieso haben wir jede Nacht ein- bis zwei Stunden so ein Stadium, das so viel Energie kostet? Und das Gehirn kostet so viel Energie, normalerweise 20 Prozent von allem Energieverbrauch des Körpers geht zum Gehirn und man würde sagen, wenn Schlaf nur zum Ausruhen da ist, dann fährt es runter, wie im Tiefschlaf. Aber im REM-Schlaf zwei Stunden lang wieder volle Kraft – wozu?
ERZÄHLERIN
Bereiten wir in dieser traumintensiven Schlafphase den nächsten Tag vor? Verarbeiten wir das Gestern? Schieben wir Informationen im Gehirn in andere Speicher, organisieren salopp gesagt das Oberstübchen?
ERZÄHLER
Bislang wenig bis keine Ahnung. Zukünftige Untersuchungstechnologien werden mehr Aufschluss bringen, hofft Victor Spoormaker. Auch in Sachen: Wann ist wieviel Schlaf in welchen Abständen gut zu was?
MUSIK
ERZÄHLERIN
In frühen Zeiten schlafen die Menschen nicht einmal lange und das von abends bis in den Morgen. Sondern in kürzeren Etappen. Nachts ein paar Stunden, vormittags oder mittags vielleicht wieder, vor dem Abendbrot ein Nickerchen. Auf dem Strohlager daheim, unterm Baum draußen auf dem Feld, am Biertisch -
MUSIK
ERZÄHLER
Richtige Betten hat meist nur der Adel. Und dann auch nicht nur zum Schlafen als auch zu Repräsentationszwecken. Der französische König Ludwig XIV. und Co. empfangen Minister und ausgewählte Untertanen gerne sitzend – im Prachtornat – im Bett. Ganz große Gunst widerfährt dem, der schon vorab ins Schlafzimmer darf zur Ankleidezeremonie.
ERZÄHLERIN
Privat ist da nichts.
ERZÄHLER
Schlaf ist lange nicht privat. Für niemanden quer durch alle Schichten. Noch bis in die Neuzeit gilt als gegeben: Kommt man zu Besuch, auf ein Fest oder schaut einfach so wo vorbei – schläft man, sollte es spät werden, gerne mit. Auf der Lagerstatt der Familie oder auf dem Boden.
ERZÄHLERIN
Und oft in vollem Gewand. Kuschelhaufen halten warm.
20 ZU Brohm 29.10
Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich die Vorstellung und die Praxis auch, dass der Schlaf im Bett zu vollziehen sei. Dafür hatten dann auch bestimmte hygienische Diskurse ihre Wirkung, die also deutlich machten, dass über eine bestimmte Schlafhygiene, natürlich auch die Ansteckungsgefahr bei großen Seuchen minimiert wird. Ebenso mengten sich da moralische Diskurse ein, die für das getrennte Schlafen plädierten, weil hier also eine große Gefahr auch unsittlichen Verhaltens mit bestünde.
ERZÄHLERIN
Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts schließen sich die Schlafzimmertüren. Zuvorderst ist das eine Wohlstandsfrage. Elternschlafzimmer, Kinderzimmer.
ERZÄHLER
Auch die Beschäftigung mit dem Phänomen Schlaf wird individueller, intimer, erklärt der Berliner Kulturwissenschaftler Brohm.
21 ZU Brohm 17.10
Wir fangen erst an, den Schlaf zu akzeptieren, als etwas, was gar nicht wirklich passiv ist, indem wir total ausgeschaltet sind, sondern in dem Vorgänge geschehen, die wir leider nicht so gut einsehen können. Wir können diese Vorgänge eigentlich für uns selbst nur realisieren, indem wir im Nachhinein Tagebücher führen, Protokolle führen, um festzuhalten, was sich so mit dieser Flüchtigkeit des Schlafes ergeben hat und erst auf der Basis dieses veränderten Wissens zum Schlaf, gewinnt diese Frage nach dem, wer wir sind im Schlaf jetzt diese Brisanz und Aktualität.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN
Die meisten Träume vergisst man wahrscheinlich deshalb, vermuten Schlafforscher, weil die Natur da eine Sicherung eingeschraubt hat. Was im Traum erscheint, soll sich nicht vermischen mit der Realität.
MUSIK
ERZÄHLER
Das wäre mitunter fatal. Der Postbote träumt, die Familie in Nummer 42 hat den grantigen Hund verschenkt und läuft am nächsten Morgen gleich munter durchs Gartentor –
ERZÄHLERIN
Keine gute Idee.
ERZÄHLER
Aber grundsätzlich aus Briefträgersicht durchaus eine angenehme Vorstellung.
ERZÄHLERIN
Bis der echte Lumpi ums Eck spurtet. Was wieder zur Eingangsfrage führt: Wer bin ich, wenn ich schlafe?
ERZÄHLER
Und träume ich mir dann oder träumt es mir?
ERZÄHLERIN
Über Jahrtausende haben sich Philosophie, Literatur, Medizin, Naturwissenschaft damit beschäftigt.
ERZÄHLER
Viel Konkretes rausgefunden haben sie noch nicht.
ERZÄHLERIN
Vielleicht ist das große Mysterium Schlaf am Ende eh überbewertet –
ERZÄHLER
Weil es bloß drauf ankommt, wer einen wachküsst?
ERZÄHLERIN
Nöp. Schlichte was man draus macht!
22 ZU (14 M Kinder)
Manchmal habe ich, wenn ich noch wach bin, aber meine Augen schon zu habe, wenn ich einschlafe so ein Bild im Kopf und wenn ich das nicht träumen will, dann mache ich wieder auf und wieder zu und habe ein anderes Bild. Wie beim Radio Sender wechseln.