Anatomie des autoritären Charakters - Was macht Menschen zu Faschisten?
Was macht Menschen anfällig für rechtsradikale Ideologien? Diese Frage stellten sich schon Denker der Frankfurter Schule wie Erich Fromm, und Theodor W. Adorno. Mit Psychoanalyse und Marx entwickelten sie den Begriff des "autoritären Charakters" - gehorsam, konform und destruktiv. Ein Modell das bis heute weltweit relevant ist. Von Jerzy Sobotta
VON: Jerzy Sobotta
Ausstrahlung am 29.1.2025
SHOWNOTES
Credits
Autor dieser Folge: Jerzy Sobotta
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Johannes Hitzelberger, Hemma Michel, Katja Schild, Peter Weiß
Technik: Christiane Gerheuser-Kamp
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Prof. Dr. Philipp Lenhard, Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der Ludwig-Maximilians-Universität München. Autor von „Café Marx. Das Institut für Sozialforschung von den Anfängen bis zur Frankfurter Schule.“ (Ch. Beck 2024)
Prof. Oliver Decker, Sozialpsychologe und Direktor des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für Demokratieforschung an der Universität Leipzig. Co-Herausgeber der Leipziger Autoritarismus-Studie.
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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
"1984" von George Orwell - Widerstand ist zwecklos
"Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke" - so lautet die Parole der einzigen Partei in Orwells dystopischen Roman von 1948. Die Geschichte von Winston Smith im Überwachungsstaat Ozeanien gehört zu den meistgelesenen Werken des 20. Jahrhunderts, allein der Titel ist zum Signalwort geworden. Denn es ist ein Buch, das als Barometer der Gegenwart funktioniert: Wie steht's um unseren Staat, unsere Welt heute im Vergleich zu Ozeanien? Im Zeitalter von Fake News, Wahlmanipulation und Datendiebstahl? Winston Smith, die Hauptfigur von "1984", beginnt schreibend eine hoffnungslose Rebellion. Der mehrfach preisgekrönte Erzähler Christian Brückner (u.a. Robert de Niros Synchronstimme) liest Orwells Sci-Fi-Klassiker in vier Folgen. JETZT ENTDECKEN
Linktipps:
Hier kann man testen, wie man auf der F-Skala abschneidet (englisch): IDRLABS
Literatur:
Theodor W. Adornos Beitrag zu den „Studien zum autoritären Charakter“ erschien auf Deutsch erst 1974 bei Suhrkamp.
Für ein breiteres Publikum analysiert Leo Löwenthal 1949 in „Falsche Propheten“ die Techniken faschistischer Agitatoren.
Philipp Lenhard gibt in „Café Marx“ einen fesselnden wie detailreichen Überblick über die Geschichte des Instituts für Sozialforschung und ihrer Protagonisten.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER:
Die Betörung der Massen. Nirgends war sie größer und zerstörerischer als in Deutschland unter den Nazis. Bis heute ist sie der Inbegriff für den Autoritarismus.
Musik 2: Anthem… - 1:05 Min
SPRECHER:
Lange schien es, die Zeit der falschen Propheten ist für immer vorüber: Die Macht des Irrationalen hat keinen Platz in den westlichen Demokratien.
Eine Illusion, die immer weiter zerbricht.
02 ZSP Autoritär: Fromm OPENER
Solche Bedingungen können sich auch heute entwickeln und deshalb sind sie keineswegs auf 1933 beschränkt, keineswegs auf Deutschland beschränkt, sondern sie werden Probleme überall da, wo der Mensch sich ganz ohnmächtig fühlt und sich ganz gelangweilt fühlt.
03 ZSP Autoritär: Adorno OPENER
Dabei ist natürlich nicht zu unterschlagen: Das manipulierte und angedrehte all dieser Bewegungen, dass sie etwas vom Gespenst eines Gespensts haben.
04 ZSP Autoritär: We love Trump (Rufe)
SPRECHER:
Was wurde übersehen? Woher kommt die Sehnsucht nach Stärke? Was ist der Reiz des Autoritären, der die Massen elektrisiert?
MUSIK 3: Die Ermittler – 31 Sek
SPRECHERIN:
Darüber wird auch nachgedacht in dem massiven Bau aus Naturstein: Das Institut für Sozialforschung, Frankfurt am Main, 1929. Das Gebäude ähnelt einer Festung. Hier wird radikale Theorie betrieben: junge, kompromisslose Sozialforscher, die das krisenhafte Wesen der modernen Gesellschaft verstehen wollen.
05 ZSP Autoritär: Lenhard Programm
Das Programm einer so genannten Kritischen Theorie: Ein interdisziplinäres Programm, das versucht, die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie, also die Marxsche Kapitalismuskritik, mit Psychoanalyse, mit Literaturtheorie, mit Musiktheorie, Philosophie und so weiter zu verbinden.
SPRECHERIN:
Es ist ein Kreis von brillanten Denkern, die später als Frankfurter Schule bekannt werden: Gruppiert um die Sozialphilosophen und Soziologen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Ihre Philosophie wird einmal das Geistesleben der Bundesrepublik prägen und sie zu einigen der wichtigsten Intellektuellen der Nachkriegszeit machen.
Nicht zuletzt, weil sie untersuchen, wie faschistische Propaganda und der Antisemitismus funktionieren.
Der Historiker Philipp Lenhard hat die Geschichte der Frankfurter Schule erforscht, in seinem Buch „Café Marx“.
06 ZSP Autoritär: Lenhard Faschismus
Also die Kritische Theorie, oder das Institut für Sozialforschung in dieser Zeit, hat natürlich auch den Faschismus als ein Krisenphänomen gesehen. Hat aber viel stärker auf das Bedürfnis und die Psychologie der Massen auch den Blick gelenkt. Also mehr auf die Frage – nicht so sehr, was die Faschisten selber für ein Programm vertreten – sondern eigentlich warum es verfängt.
Musik 4: Trapped! – 50 Sek
SPRECHER:
Am 1. August 1930 wird Max Horkheimer Universitätsprofessor und übernimmt er die Leitung des Instituts, das sich aus privaten Stiftungsgeldern eines reichen Unternehmersohns finanziert.
ATMO: 07 ZSP Autoritär: Fackelzug
SPRECHER:
Zwei Tage später spricht Adolf Hitler in Frankfurt. Er füllt eine riesige Festhalle mit 20.000 Zuschauern. Die erregte Menge jubelt den Fahnenträgern von SA und SS zu und spendet der Rede ihres „Führers“ frenetischen Beifall. Erfolgreiche Mobilisierung für die bevorstehenden Reichstagswahlen, bei denen die NSDAP mit mehr als 18 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der SPD wird.
SPRECHERIN:
Am Institut für Sozialforschung ist man besorgt über die wachsende Stärke des Faschismus. Eine erste groß angelegte Studie entsteht zu dieser Zeit: Sie soll das politische Bewusstsein von Arbeitern und Angestellten in Deutschland untersuchen. Die Forscher wollen erfahren, wie deren politische Gesinnung zu ihrer unbewussten psychischen Struktur passt. Das Ergebnis ist ernüchternd:
08 ZSP Autoritär: Lenhard Arbeiter
Und das Entscheidende war wirklich: Wir können uns auf das Proletariat nicht verlassen. Das Proletariat wird den Faschismus nicht besiegen können, wird nicht ausreichend Widerstand leisten können. Teile der Arbeiterschaft werden zu den Nazis überlaufen.
SPRECHERIN:
Sagt Philipp Lenhard, Professor für jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
09 ZSP Autoritär: Lenhard Warum
Und dann hat man untersucht: Warum eigentlich? Was spricht die eigentlich da an?
Musik 5: Am Tatort – 1:39 Min
SPRECHER:
Die Studie hat Pionierqualitäten: Empirische Untersuchungen sind damals in Deutschland noch relativ neu. Vor allem aber ist die Methode Neuland: Die gezielte Nutzung der jungen Wissenschaft der Psychoanalyse in einer Sozialstudie.
SPRECHERIN:
Die Psychoanalyse betrachtet das menschliche Ich als fragile Steuerungsinstanz, die zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen und archaischen Triebregungen vermittelt. Unbewussten Mächten also, die jederzeit chaotisch und widersprüchlich aus der Tiefe der menschlichen Seele hervorbrechen können. Man wollte herausfinden: Welchen Einfluss nehmen verdrängte Ängste und unbewusste Bedürfnisse auf die politische Willensbildung? Das war der Schlüssel, um den immer weiter um sich greifen Irrationalismus in der Politik zu verstehen.
SPRECHER:
Diesen neuen Blick bringt damals der Soziologe und Psychoanalytiker Erich Fromm ein. Er ist Jurist, Soziologe und ein glühender Anhänger der Psychoanalyse, die er intensiv studiert. Am Institut für Sozialforschung leitet er die psychoanalytische Abteilung und ist einer der ersten, die Psychoanalyse, Marxismus und sozialwissenschaftliche Untersuchungen miteinander verbinden.
SPRECHERIN:
Schon in der Studie über die Arbeiter und Angestellten entwickelt Fromm einen zentralen Begriff, der die gesamte Kritische Theorie und ihr Verständnis von Massenpsychologie und Faschismus entscheidend prägen wird: den Autoritären Charakter.
10 ZSP Autoritär: Fromm: Autoritärer Charakter
Nun beim autoritären Charakter würde ich sprechen von – wenn man ihn mit einer psychoanalytischen Namensgebung bezeichnet – als den sadistisch-masochistischen Charakter.
SPRECHERIN:
So erklärt Erich Fromm den autoritären Charakter 1975 in einem Fernsehinterview. Die Begriffe Sadismus und Masochismus sind der Psychoanalyse entlehnt, wo sie sexuelle Neigungen beschreiben: Der Sadist erregt sich, indem er seinem Sexualpartner Schmerzen zufügt. Fromm jedoch beschränkt sich nicht auf das Sexuelle.
11 ZSP Autoritär: Fromm Sadist
Ich verstehe unter Sadismus den leidenschaftlichen Wunsch, über einen anderen Menschen die absolute Kontrolle zu haben. Man kann auch so sagen: Dass der Sadismus ein Ausdruck des Wunsches nach Allmächtigkeit ist.
SPRECHERIN:
Gleiches gilt für den Masochismus: die Lust gequält und gedemütigt zu werden. Auch er bekommt eine kulturtheoretische Bedeutung, die mehr meint als eine Sexualpraktik.
12 ZSP Autoritär: Fromm Masochist
Die Lust an der Unterwerfung unter etwas, was stärker ist. Die absolute Abhängigkeit. Und damit auch die Erfüllung des Wunsches, der eigenen Verantwortung ledig zu sein. Der Masochist, der sich unterwirft, braucht nicht mehr über sein Leben zu entscheiden. Er wird gelebt durch eine höhere Macht.
SPRECHERIN:
Das nimmt dem Menschen die Last, die Risiken des Lebens auf sich zu nehmen, Entscheidungen zu treffen, mit den Konsequenzen zu leben. Um den sadistisch-masochistischen Menschen zu beschreiben, hat Fromm ein eingängiges Bild: Den Radfahrer. Denn der Radfahrer duckt sich nach oben, während er nach unten tritt.
Die sadistisch-masochistischen Triebe sind also dafür verantwortlich, dass sich ein Mensch einer äußeren Macht oder einer Idee unterwirft und Schwächere unterdrücken und beherrschen will. Dass diese Triebe in einem Menschen Überhand nehmen, liegt nur zum Teil an seiner individuellen Veranlagung, seiner Erziehung. Ebenso wichtig sind die Lebensumstände, denen er ausgesetzt ist.
Politische und wirtschaftliche Krisen, Pandemien, Kriege aber auch starker technologischer Wandel treffen die Menschen und erzeugen bei vielen ein Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins.
15 ZSP Autoritär: Fromm Omnipotenz
Da entwickelt sich mehr und mehr der Wunsch zur Macht. Anstelle der inneren Ohnmacht, der inneren Impotenz - wenn sie so wollen -, eine Omnipotenz, eine Allmacht, in dem er alles kontrolliert. Alle. In dem er dann seine Ohnmacht übertönen kann, durch das Resultat dessen, was er mit anderen Menschen macht.
SPRECHERIN:
Die Studien des Instituts für Sozialforschung zu Beginn der 1930er Jahre ergeben, dass ein beträchtlicher Teil der Arbeiter und Angestellten diese Rad-Fahrer-Mentalität aufweist.
Musik 6: The Boss – siehe vorn – 35 Sek
16 ZSP Autoritär: Bücherverbrennung
SPRECHER:
Als Sozialisten, Marxisten, Juden und Psychoanalytiker verkörpern die Instituts-Mitarbeiter alles, was den Nazis verhasst ist. Als sie an die Macht kommen, besetzen sie sofort Horkheimers Wohnhaus in Kronberg und am 13. März 1933 das Institut für Sozialforschung. Doch die Mitarbeiter sind da bereits in die Schweiz geflohen.
MUSIK 7: „Nah“ – 49 Sek
SPRECHERIN:
Die meisten von ihnen sind zunächst in Genf, Paris oder London. Doch schon bald lässt Horkheimer den Hauptsitz des Instituts nach New York verlegen, nach Manhattan unweit der Columbia University. Eine lebensrettende Entscheidung. Für all jene zumindest, die ihm früh genug folgen.
SPRECHER:
1936 erscheint das bislang größte Forschungsprojekt des Instituts für Sozialforschung: Die Studien über Autorität und Familie. Auch hier steht der „Autoritäre Charakter“ im Mittelpunkt der Untersuchung, den Co-Autor Erich Fromm vornehmlich bei den kleinbürgerlichen Klassen verortet.
17 ZSP Autoritär: Fromm Kleinbürgertum
Weil das deutsche Kleinbürgertum, damals also die kleinen Geschäftsleute, der Mann, der einen kleinen Laden hatte. Alle die waren aus der Geschichte herausgeschleudert. Aber speziell auch der kleine Handwerker, der kleine Kaufmann. Die Entwicklung des Kapitalismus ging ja dahin, die alle auszumerzen. Es war eine Klasse, die gesellschaftlich und ökonomisch zum Tode verurteilt war. Sie sahen das, sie fühlten das. Sie fühlten ihre Ohnmacht wirtschaftlich und auch gesellschaftlich. Ja nun, aus diesem Gefühl der Ohnmacht kam dann der Wunsch zu herrschen, zu kontrollieren. Und wer blieb dann übrig, außer den Juden und den politischen Minoritäten?
Musik 8: The Boss – siehe vorn – 24 Sek
SPRECHER:
Hitler greift diesen Wunsch zu herrschen auf. Er manipuliert die emotionalen Bedürfnisse seiner Gefolgschaft: Indem er mit ihren archaischen Wünschen und irrationalen Ängsten spielt. Und indem er ihre Wut lenkt.
MUSIK aus
SPRECHERIN:
Die Kritische Theorie will weitaus mehr als eine rein psychologische Erklärung des Faschismus: Wieso Individuen geneigt sind, sich einem Demagogen zu unterwerfen. Vielmehr spiegeln sich im Individuum bis in die feinsten Verästelungen seiner Seele die gesellschaftlichen Verhältnisse, von denen es hervorgebracht wird.
SPRECHER:
Im entwickelten Kapitalismus wird das Individuum zum atomisierten Massenmenschen, höchst anfällig für propagandistische Manipulation. In seinem Geschmack, seinem Denken und Fühlen finden sich die gleiche Standardisierung und Stereotypie wieder, die am Fließband die industrielle Produktion bestimmen. Die Manipulierbarkeit des Massenmenschen nimmt im gleichen Maße zu, wie die Austauschbarkeit seiner Arbeitskraft durch die Maschine.
Musik 9: Faded Grandeur – 1:13 Min
SPRECHERIN:
Der Siegeszug des Faschismus zeigt an, wie fragil und anfällig der moderne Mensch für die Manipulation ist. Und zwar weltweit: Denn die gleiche Entwicklung ist auch in der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten zu beobachten.
18 ZSP Autoritär: Roosevelt (ca. 10 Sek. stehen lassen)
SPRECHER:
Präsident Roosevelt ruft nach dem Schock der Weltwirtschaftskrise die Politik des „New-Deal“ aus, die auf massive Intervention des Staates setzt.))
Droht auch in den USA ein offener Faschismus? Das will das American Jewish Committee herausfinden. Es finanziert ab 1943 eine große Studie über die Verbreitung von Antisemitismus: Wie schnell können geheime Wünsche in offenes Ressentiment umschlagen? Wie empfänglich sind die Amerikaner für die Manipulation durch antidemokratische Propaganda?
19 ZSP Autoritär: Adorno Propaganda
Die Propaganda ist also vorwiegend eine massenpsychologische Technik. Zugrunde liegt dabei das Modell der autoritätsgebundenen Persönlichkeit.
SPRECHERIN:
Der Philosoph Theodor W. Adorno ist einer der Studienautoren. Als er 1938 in die USA flieht, analysiert er unter anderem die Propaganda-Sendungen christlich-faschistischer Radioprediger. Gemeinsam mit Psychologen der Universität Berkeley arbeitet er an der Studie The Authoritarian Personality, die allerdings erst viel später veröffentlicht wird.
20 ZSP Autoritär: Lenhard USA
Es ging darum den potenziell faschistischen Charakter herauszufinden. Also wer ist in bestimmten Situationen bereit, den Nationalsozialisten zu folgen? Sei es bedingungslos, sei es in bestimmten Situationen oder sei es nur keinen Widerstand zu leisten. Es gibt da ja verschiedene Stufen. Und deswegen musste man da immer so Umwegfragen stellen, um da zu so einem Persönlichkeitsprofil zu gelangen letztlich.
Musik 10: Trapped! – siehe vorn – 43 Sek
Zitate der Forschungsfragen (Zitatoren-Duo liest abwechselnd, dann unter Sprecherin gezogen)
• Gehorsam gegenüber der Autorität sind die wichtigsten Tugenden, die Kinder lernen sollten.
• Wenn wir die Deutschen und die Japaner erledigt haben, sollten wir uns auf andere Feinde der menschlichen Rasse konzentrieren, wie etwa Ratten, Schlangen und Ungeziefer.
• Viel stärker als die meisten Menschen erkennen, wird unser Leben durch Verschwörungen bestimmt, welche die Politiker insgeheim aushecken.
• Vertrauen erzeugt Geringschätzung.
SPRECHERIN:
Entwickelt wird ein langer Fragekatalog für hunderte von Probanden: Wie starr hängen sie an konventionellen Werten und Stereotypen? Wollen sie Abweichlern unbedingt bestrafen? Neigen sie zum Aberglauben oder stellen sie Stärke übertrieben zur Schau? Sind sie zynisch gegenüber menschlichem Leben?
SPRECHER:
Daraus entwickeln die Forscher die Faschismus-Skala, auch F-Skala genannt. Sie zeigt an, wie stark eine Person faschistoide Meinungen hegt. Für Menschen mit einer starken Neigung zu Vorurteilen werden zudem typische Syndrome beschrieben:
Musik 11: A pause for... aus: The girl with the dragon tattoo - 1:05 Min
SPRECHERIN – SPRECHER - WECHSEL:
• Der Konventionelle hält sich an verbreitete Wertvorstellungen und hat eine starke Furcht davor, „anders“ zu sein. Sein Über-Ich war nie gefestigt und ist stark abhängig von äußeren Instanzen.
• Der Autoritäre wird vom Über-Ich beherrscht und muss unaufhörlich gegen starke und ambivalente Triebe ankämpfen. Er hat Angst davor, schwach zu sein.
• Beim Rebellen haben verdrängte Triebe die Oberhand gewonnen, er ist destruktiv und rebelliert oft pseudorevolutionär gegen alle, die in seinen Augen schwach sind. In der gröbsten Form wird er psychopatisch und quält hilflose Opfer mit roher Gewalt.
• Der Spinner ist ein stark selbstbezogener und in sich selbst zurückgezogener Mensch. Er hat die Realität weitgehend durch eine Phantasiewelt ersetzt. Seine innere Welt will er vor „Beschmutzung“ und dem Kontakt mit der schrecklichen Wirklichkeit beschützen.
21 ZSP Autoritär: Lenhard Amerika antisemitisch
Und all diese Studien, die man da angestellt hat, haben eben gezeigt, dass die amerikanische Gesellschaft in dieser Zeit eben auch sehr vom Antisemitismus geprägt war. Und das Institut für Sozialforschung hatte tatsächlich massiv Angst davor, dass auch die USA nationalsozialistisch oder faschistisch werden könnten. Man war sich da nie so ganz sicher.
SPRECHERIN:
Sagt Professor Philipp Lenhard von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Als die Studie 1950 unter dem Namen The Authoritarian Personality in Amerika veröffentlicht wird, revolutioniert sie die Sozialwissenschaften.
MUSIK 11: Die Ermittler – siehe vorn – 38 Sek
SPRECHER:
Die Nazis sind inzwischen militärisch geschlagen. Adorno und Horkheimer sind an die Universität in Frankfurt zurückgekehrt, wo sie das Institut für Sozialforschung wieder eröffnen. In den kommenden zwei Jahrzehnten werden sie zu Ikonen der Studentenbewegung. Auch in den Jahren nach amerikanischer Reeducation und dem Wirtschaftswunder behalten sie ein feines Gespür dafür, dass die Gefahr des Autoritären nicht gebannt ist.
22 ZSP Autoritär Adorno Nachleben
Ich möchte also davon ausgehen, meine Damen und Herren, dass die Voraussetzungen faschistischer Bewegungen, trotz des Zusammenbruchs, gesellschaftlich - wenn auch nicht unmittelbar politisch - fortbesteht.
SPRECHER:
Eine Warnung, die Adorno immer wieder ausspricht. In seinen Schriften und 1967 in Wien, bei einem Vortrag vor Studenten. Er spricht über die damals neu gegründete rechtsradikale NPD. Ihre Wahlerfolge bestätigen seine Annahmen über den Autoritären Charakter – auch 20 Jahre später.
23 ZSP Autoritär: Adorno Rechte Bewegungen
Dabei ist natürlich nicht zu unterschlagen, das manipulierte und angedrehte all dieser Bewegungen. Dass sie etwas vom Gespenst eines Gespensts haben. Es wäre falsch, wenn man heute etwa Deutschland – und es wäre hysterisch – wenn man heute in Deutschland unter diesen Dingen sich etwas wie eine spontane Massenbewegung vorstellen würde. Wohl aber kann eine solche sich herausbilden, wenn das durch die objektiven Bedingungen gegebene Potenzial ergriffen und in sich zuspitzenden Situationen gesteuert wird. Und in diesem Fall ist wohl sicher richtig, dass die extremistischen Gruppen, nach einer Dynamik, die sich immer wieder in solchen Situationen zeigt, die Oberhand gewinnt.
Musik 13: Let’s go out tonight – 32 Sek
SPRECHERIN:
Autoritäre Bewegungen sind kein Problem der gesellschaftlichen Ränder. Sie sind ein Symptom dafür, dass sich die Menschen durch die Marktmechanismen und den technologischen Wandel nach wie vor bedroht fühlen. Und zwar heute in steigendem Maße, sagt Professor Oliver Decker von der Universität Leipzig:
24 ZSP Autoritär: Decker Autoritarismus
Das Autoritarismus-Konzept hilft zu verstehen, wieso die Demokratie derzeit derart unter Druck ist.
SPRECHERIN:
Der Sozialpsychologe erforscht seit 2002 die Verbreitung antidemokratischer Einstellungen in Deutschland: Die Leipziger-Autoritarismus-Studien – früher Mitte-Studien genannt - sind vom Konzept des autoritären Charakters beeinflusst. Sie fragen nach dem latent autoritären und antidemokratischen Potential, das weit bis in die Mitte der Gesellschaft verbreitet ist. Dabei gilt damals wie heute:
25 ZSP Autoritär: Decker Regression
Wenn es zur ökonomischen Regression kommt, dann kommt es auch zur psychischen Regression. Der Autoritarismus steigt, die autoritären Aggressionen werden sichtbarer.
SPRECHERIN:
Allerdings haben sich die Formen verändert, in denen heute die Menschen auf Krisenphänomene reagieren, sagt Oliver Decker. Der harte Führerkult der Faschisten sei heute der Sehnsucht gewichen, möglichst vollständig mit einer Gruppe zu verschmelzen und sich gegen die bedrohliche Außenwelt abzuschotten.
26 ZSP Autoritär: Decker Verschwörung
Und das mündet ein in eine massive Realitäts-Verleugnung. Verleugnung ist momentan das zentrale Element, das ist sozusagen die Flucht aus der Realität, die diese autoritäre Dynamik mit kennzeichnet. Rein in die Verschwörungsmentalität.
27 ZSP Autoritär: Trump Globalists, Marxists, Fascist
28 ZSP Autoritär: Thank you Trump (Rufe)
29 ZSP Autoritär: Adorno Propaganda
Man sollte diese Bewegungen nicht unterschätzen, wegen ihres niedrigen geistigen Niveaus und wegen ihrer Theorielosigkeit. Ich glaube, es wäre ein völliger Mangel an politischem Blick, wenn man deshalb glaubte, dass sie erfolglos sind. Das Charakteristische für diese Bewegungen ist vielmehr: Eine außerordentliche Perfektion der Mittel, nämlich der propagandistischen Mittel in einem weitesten Sinn.
30 ZSP Autoritär: Lenhard Demagogen
Also wenn man sich beispielsweise die Studien des Instituts zu faschistischen Demagogen anschaut. Dann kann man diese Analysen erschreckenderweise fast eins zu eins auf die heutigen Demagogen übertragen. Also das ist auch verschiedentlich gemacht worden, beispielsweise Trump zu verstehen, mit diesen Analysen der Kritischen Theorie. Und das geht erstaunlich leicht.
Musik 14: Anthem – siehe vorn – 25 Sek
SPRECHERIN:
Sagt der Historiker Philipp Lenhard. Der Blick in die Bücher von damals verspricht also überraschend aktuelle Antworten für heute. Um den Reiz des Autoritären zu verstehen, muss man die Techniken seiner Propaganda durchschauen.